Page - 69 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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schaft führen kann. Allerdings hat der BGH eine Verhandlungsobliegen-
heit anerkannt, die rechtlich zwar nicht selbstständig durch Leistungsklage
verfolgt werden kann, jedoch bei Verletzung dazu führt, dass verzugsbe-
dingt der Schuldner ausgebliebener Verhandlungsbereitschaft in Verzug
gerät und bei späterem Unterliegen vorgerichtliche Anwaltskosten und
sonstige Verzugsschäden zu tragen hat.82 Auch wird ein Nichtverhandeln
bei Unzumutbarkeit des aktuellen Vertragsgefüges als Begründungslinie
für eine implizite Zustimmung zur Aufhebung erachtet.83 Der hiermit ein-
hergehende Druck auf die Parteien, sich vorgerichtlich konstruktiv aufein-
ander zuzubewegen, wird jedoch dadurch wieder abgeschwächt, dass we-
der Gesetz noch Rechtsprechung stabile Spielregeln für eine solche Ver-
handlung vorsehen. Das ist im Fall verhandlungs- und einigungsbereiter
Parteien sinnvoll, da diese nicht in ein ggf. unnötiges und schwerfälliges
Korsett gedrängt werden, droht aber bei streitaffinen Personen sich in be-
wusst überzogenen Vorstellungen und fadenscheinigen Ausflüchten sowie
in der konsequenten Leugnung der Anwendbarkeit des §313 BGB auszu-
drücken. Wenn fehlender Inhalt und Grenzen des zugehörigen Diskurses
wie auch fehlende Hinweise auf ein unverschuldetes Scheitern von Ver-
handlungen fehlen, so geht nach hier vertretener Auffassung die Ansicht
doch zu weit, die präprozessuale Verhandlungsobliegenheit sei nutzlos
und ökonomisch inneffizient.84
Abschließend sei damit festgehalten, dass das Recht des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage in der Corona-Krise in einer Vielzahl von Konstellatio-
nen leistungsfähig erscheint und insbesondere nicht vorschnell hinter ge-
neralisierenden Spezialitätserwägungen verschwinden sollte.
Prüfkaskade für den beratenden Anwalt und das angerufene Gericht
Auf Basis bisheriger Erwägungen sei im Folgenden eine Prüfkaskade vor-
geschlagen, deren Beachtung Richter- und Anwaltschaft eine prozedurale
Stütze für die Analyse des Einzelfalls bieten soll.
I. Greifen spezifische Regelungen des Vertrags, die Krisensituationen
einschließen (force majeure – Klauseln etc.)? Falls nein:
II. Existieren nicht perpetuierte, aber erkenn- und nachweisbare Verein-
barungen für Krisensituationen? Falls nein:
D.
82 BGHZ 191, 139 = JZ 2012, S.418.
83 BGHZ 191, 139 Rn.27 = JZ 2012, S.418.
84 So aber im Ergebnis C. Thole, Neuverhandlungspflicht (Fn.52), S.443 (450).
Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf Vertragsstörungen?
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
- Niemand zahlt mehr Miete!? ‑ Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Pflicht zur Mietzahlung 147
- Aktuelle Probleme im Reiserecht durch die Corona-Krise 175
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- Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise 223
- Vertragsrecht in der Corona-KriseCOVInsAG: Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht und die Haftung der Organe 245