Page - 70 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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III. Es bedarf einer vollständigen Problemerfassung im Hinblick auf die
gesetzliche Risikoverteilung des speziellen Vertrags- und allgemeinen
Schuldrechts mit Beantwortung der Frage, ob diese auch die eingetre-
tenen Risiken einer Partei oder den Parteien anteilig erschöpfend zu-
weisen. Hier dürfen keine vorschnellen oder generalisierenden Schlüs-
se gezogen werden! Falls eine solche Zuweisung nicht vorliegt:
IV. Existiert Notstandsgesetzgebung, die das Problem hinreichend kon-
kret erfasst? Falls nein:
V. Liegen die Voraussetzungen des §313 Abs.1, 2 BGB vor? Ist dem nicht
so, bleibt es bei der vertraglich und gesetzlich ggf. partiell unbefriedi-
genden Verteilungsentscheidung, die jedoch zu respektieren ist. Lie-
gen demgegenüber die Voraussetzungen des §313 Abs.1, 2 BGB vor,
so sollte wie folgt verfahren werden:
VI. Wurde bereits mit konstruktiven und situationsangemessenen Erwä-
gungen verhandelt?
1. Falls ja: Klagerhebung auf Leistung oder Nutzung des §313 BGB
als Einrede gegen eine geltend gemachte Leistungspflicht.
2. Falls nein: Verhandlungen anstreben (andernfalls droht bei sofor-
tiger Klagerhebung §93 ZPO und mangels Schuldnerverzugs kei-
ne Aussicht auf erfolgreiche Geltendmachung vorgerichtlicher
Anwaltskosten).
Zusammenfassung in Thesen
I. Gesamtgesellschaftliche Krisensituationen führen zu einer Schaden-
streuung, für die regelmäßig keine Vertragspartei verantwortlich und
die auch nur selten einer Partei vertraglich zugewiesen ist.
II. Das zivilrechtliche Vertrags- und das allgemeine Leistungsstörungs-
recht sehen für solche Momente bei Subsumtion zumeist eine einseiti-
ge Belastung einer Partei nach üblichen und unter normalen Umstän-
den auch nachvollziehbaren Risikoverteilungserwägungen vor. Diese
erfassen jedoch exogene Schocks wie Krieg, Naturkatastrophen, Pande-
mien und Ähnliches unzureichend.
III. In derartigen Krisensituationen sollte das Instrumentarium des §313
BGB nicht als rein vertragsimmanentes Begradigungsmoment, son-
dern auch als vertragstranszendenter Lastenverteilungsmechanismus
verstanden werden.
IV. Der hierdurch anerkannte sozialpolitisch induzierte Eingriff in beste-
hende Vertragsgefüge ist allerdings zurückhaltend einzusetzen. Jedoch
dient derselbe in einer Krisensituation mehreren bedeutsamen Zielen,
E.
Jens Prütting
70
https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
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