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als gesetzliche Stundung und von §1 „nur“ als Leistungsverweigerungs-
recht könnte dafür sprechen, dass zunächst kraft Gesetzes die Verbindlich-
keiten aus dem Darlehen gestundet sind und die Verbindlichkeiten aus
den „wesentlichen Dauerschuldverhältnissen“ weiter zu erfüllen sind, so-
lange die liquiden Mittel dafür ausreichen.115 Das hieße dann, dass in den
allgemeinen Lebensunterhalt i.S.d. Art.240 §3 Abs.1 S.2 EGBGB auch
die Kosten für die Erfüllung „wesentlicher Dauerschuldverhältnisse“ ein-
zubeziehen wären, während dies im Rahmen von Art.240 §1 Abs.1 S.1
EGBGB nicht der Fall wäre. Damit käme man zu einer unterschiedlichen
Auslegung des angemessenen Lebensunterhalts in §§1 und 3 der Vor-
schrift. Ob der Gesetzgeber das erreichen wollte oder die Frage schlicht
übersehen hat, ist nicht ohne Spekulation zu beantworten.
Über die Voraussetzungen der gesetzlichen Stundung ist im Zeitpunkt
der Fälligkeit der jeweiligen Rate zu entscheiden. So kann der Darlehens-
nehmer u.U. im April 2020 noch über so viele liquide Mittel verfügen,
dass ihm trotz Einnahmeausfällen die Zahlung der Darlehensrate zumut-
bar ist. Umgekehrt können die zunächst gegebenen Voraussetzungen der
gesetzlichen Stundung später wegfallen, etwa weil das Geschäft des Darle-
hensnehmers aufgrund der Lockerung der Maßnahmen wieder anläuft.
Die Formulierung des Gesetzes erweckt allerdings teilweise einen anderen
Anschein. So könnte man aus der in Art.240 §3 Abs.5 EGBGB angeord-
neten fixen Verlängerung der Vertragslaufzeit um drei Monate (s.u.
D.IV.3) den Schluss ziehen, dass der Zeitraum zwischen April und Juni
einheitlich zu betrachten sei. Im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm,
der es etwa verlangt, auch denjenigen Darlehensnehmer zu schützen, der
erst später von der Krise betroffen wird, ist diese Sicht aber abzulehnen.
Vielmehr muss das Gleiche gelten wie im Rahmen von Art.240 §1
EGBGB (s.o. B.I.4). In der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift findet
sich der ausdrückliche Hinweis, dass der Schuldner nur solange geschützt
ist, wie er wegen der Pandemie an seiner Leistungserbringung gehindert
ist.116
115 Anders offenbar Möllnitz/Schmidt-Kessel (Fn. 13), Art.240 §§1–4 EGBGB
Rn.154, wonach sich der Verbraucher im Rahmen von Art.240 §3 EGBGB auf
weitere Leistungsverweigerungsrechte wie Art.240 §1 EGBGB berufen muss.
116 BT-Drucks. 19/18110, S.34.
Ann-Marie Kaulbach und Bernd Scholl
126
https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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book Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
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