Page - 142 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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Von größerer Bedeutung ist die zweite Ausnahme (Art.240 §5 Abs.5
Nr.2 EGBGB): Der Kunde kann auch dann eine Erstattung in Geld verlan-
gen, wenn er den Gutschein nicht bis zum 31.12.2021 eingelöst hat. Das
heißt im Klartext, dass sich überhaupt niemand dauerhaft mit einem Gut-
schein zufriedengeben muss. Man muss nur bis Ende 2021 warten, um
eine Rückerstattung zu bekommen. Die Regelung bewirkt also ähnlich
wie das Leistungsverweigerungsrecht in Art.240 §1 EGBGB für den Ver-
braucher einen Zahlungsaufschub, hier aber für den Veranstalter.180 Viele
Veranstalter werden darauf setzen, dass der Gutschein bis dahin in Verges-
senheit geraten ist.181
Über den Sinn der Regelung ist während des Gesetzgebungsverfahrens
gestritten worden.182 Die Regelung lässt sich damit begründen, dass ein
Zahlungsaufschub für den einzelnen Verbraucher verkraftbar ist. Der ge-
zahlte Eintrittspreis stammt normalerweise aus Vermögen, auf das der Ver-
braucher nicht unbedingt angewiesen ist – wenn das nicht der Fall ist,
greift die Ausnahme des Art.240 §5 Abs.5 Nr.1 EGBGB. Für den Veran-
stalter könnte der Abfluss eingenommener Eintrittsgelder dagegen zu exis-
tenzbedrohenden Liquiditätsschwierigkeiten führen, so dass es zu rechtfer-
tigen ist, das Pandemierisiko den Verbrauchern als den Gläubigern zuzu-
weisen (s. dazu den Beitrag von C. Behme, S.73 [87ff.]). Andererseits lässt
sich aber auch die Frage stellen, warum gerade die Verbraucher, die zufälli-
gerweise Karten für den Zeitraum der Pandemie gebucht haben, die Liqui-
dität der Anbieter sicherstellen sollen. Hier ließe sich auch vertreten, dass
der Staat in der Pflicht ist, der schließlich die Absage der Veranstaltungen
angeordnet hat.
Die Gutscheinlösung gilt nicht für Flüge und Pauschalreisen. Der
Grund dafür liegt darin, dass der Bund hier durch die Pauschalreiserichtli-
nie183 und die Fluggastrechte-Verordnung184 an einer nationalen Regelung
gehindert ist. Die Bundesregierung hat sich allerdings an die EU-Kommis-
180 S. Lorenz, Gutscheine für abgesagte Veranstaltungen: Helene Fischer statt
Rammstein? in: Legal Tribune Online, 14.4.2020, https://www.lto.de/persistent/
a_id/41294 (zuletzt abgerufen am 6.6.2020).
181 Krit. Markworth/Bangen, Gutscheinlösung (Fn. 173), S.390.
182 Dazu BT-Drucks. 19/19218.
183 Richtlinie (EU) 2015/2302 vom 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene
Reiseleistungen, ABl. L 326 S.1.
184 Verordnung (EG) Nr.261/2004 vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung
für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbe-
förderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur
Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr.295/91, ABl.L 46 S.1, ber. 2019 L 119
S.202.
Ann-Marie Kaulbach und Bernd Scholl
142
https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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book Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
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- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
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