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des tatsächlichen Zustands der Mietsache von dem vertraglich geschulde-
ten Zustand“.100 Die Zustandsbezogenheit des Mangels scheint also Raum
für Verletzungen der Hauptleistungspflichten des Vermieters zu lassen, die
keinen Mangel i.S.d. §536 BGB darstellen. Und in der Tat sind durchaus
Fälle denkbar, in denen nach Gebrauchsüberlassung eine Unmöglichkeit
vorliegt, aber kein Mangel – etwa die völlige nachträgliche Zerstörung der
Mietsache.101
Bei näherer Betrachtung überzeugt die Differenzierung letztlich jedoch
nicht. Einem Rückgriff auf §§326, 275 BGB steht mit Blick auf die hier in-
teressierenden Fälle entgegen, dass das mietrechtliche Gewährleistungs-
recht insoweit das allgemeine Leistungsstörungsrecht verdrängt,102 da an-
dernfalls die Wertentscheidungen und Voraussetzungen der §§536ff. BGB
unterlaufen werden.103 Denn zwar mag das RG im oben genannten Urteil
festgestellt haben, dass eine Anwendbarkeit des allgemeinen Leistungsstö-
rungsrechts – nämlich §§275, 326 BGB – nicht ausgeschlossen sein muss,
wenn man einen Mangel bejaht.104 Dabei hatte sich das RG allerdings auf
die Erkenntnis gestützt, dass die Ergebnisse des allgemeinen Schuldrechts
im konkreten Fall im Wesentlichen mit denjenigen des besonderen Man-
gelgewährleistungsrechts übereinstimmten.105
Geht man – entgegen der hier und auch von Schall vertretenen Ansicht
– von einem Mangel der Mietsache wegen der Corona-Erlasse aus, wäre ein
Rückgriff auf die allgemeinen Vorschriften aber gar nicht notwendig, um
zu dem Ergebnis zu kommen, dass die betroffenen Mieter nicht zur Zah-
lung der Miete verpflichtet sind. Dies würde sich zwanglos aus §536 Abs.1
S.1 BGB ergeben. Indes, wenn man einen Mangel ablehnt, würde man
nach Schalls Ansicht über das allgemeine Leistungsstörungsrecht zu Ergeb-
nissen kommen, die das besondere Mangelgewährleistungsrecht gerade
nicht vorsieht und somit die Wertungen der §§536ff. BGB unterlaufen.
Es lässt sich dabei auch nicht behaupten, dass die Fälle der coronabe-
dingten Schließungen außerhalb des Anwendungsbereichs des besonderen
mietrechtlichen Mangelgewährleistungsrechts liegen. Denn der Vermieter
ist nach §535 Abs.1 S.1 und 2 BGB verpflichtet dem Mieter den Gebrauch
der Mietsache zu gewähren und die Mietsache den gesamten Vertragszeit-
100 BGH NJW-RR 1991, 204.
101 M. Bieder, in: Beck-online.GROSSKOMMENTAR, München Stand 01.01.2020,
§536 BGB Rn.9.
102 M. Bieder (Fn.101), §536 BGB Rn.4; E. Streyl, COVID 19 (Fn.49), §3 Rn.58.
103 So i.E. auch M.-P. Weller/C. Thomale, Mietminderung (Fn.53).
104 RGZ 89, 203.
105 RGZ 89, 203.
Jonas David Brinkmann
170
https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
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