Page - 225 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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den seltensten Fällen abstrakt und losgelöst vom konkreten Inhalt des Ar-
beitsverhältnisses, von der konkreten Person des Arbeitnehmers sowie
vom Geschäftsgegenstand des beschäftigenden Arbeitgebers beantworten
lassen. „Es kommt darauf an“, droht mehr noch als sonst zu einer Stan-
dardantwort zu verkommen, die das Bedürfnis des Rechtssuchenden nach
Sicherheit eher verstärkt denn befriedigt.
Umso wichtiger ist es, in einem ersten Schritt die wesentlichen vertragli-
chen Risiken, welche durch den Pandemiefall ausgelöst oder vergrößert
werden, zu identifizieren und entlang dieser die rechtlichen Modifikatio-
nen des arbeitsvertraglichen Rechte- und Pflichtenprogramms zu systema-
tisieren. Dabei lassen sich im Wesentlichen drei Leistungsrisikofaktoren
des arbeitsrechtlichen Synallagmas erkennen, welche durch die Corona-
pandemie beeinflusst werden:
Erstens kann der Pandemiefall die Leistungsfähigkeit und -willigkeit des
Arbeitnehmers vor besondere Probleme stellen. Das offensichtlichste Bei-
spiel hierfür ist das durch die Infektionsgefahr gesteigerte Krankheitsrisiko
des Arbeitnehmers, der im Fall einer Erkrankung als Arbeitskraft auszufal-
len droht. Die Pandemie vergrößert allerdings nicht nur bestehende und
allgemein hinzunehmende Leistungsausfallrisiken, sondern schafft auch
neue Gefahren für eine ordnungsgemäße Vertragsdurchführung: So müs-
sen Arbeitnehmer, die Eltern erziehungsbedürftiger Kinder sind, aufgrund
der Kita- und Schulschließungen die mit ihrer Arbeitspflicht kollidieren-
den Betreuungspflichten erfüllen.3 Besteht der Verdacht einer Infektion,
können Behörden gem. §30 IfSG den Arbeitnehmer in häusliche Zwangs-
quarantäne versetzen, was ihm ein Erscheinen im Betrieb unmöglich
macht. Und nicht zuletzt können Arbeitnehmer – besonders solche, die als
Risikokandidaten einer Infektion gelten – aufgrund der gegenwärtigen Ge-
fahrenlage das Risiko scheuen, den Arbeitsplatz zu betreten, um sich nicht
der Ansteckungsgefahr durch die Kolleginnen und Kollegen auszusetzen.
Zweitens kann das Interesse des Arbeitgebers am Erhalt der Leistung
während der Pandemie und auch in der Folgezeit modifiziert sein. Verhän-
gen die Ordnungsbehörden eine Schließungsverfügung für das Ladenge-
schäft des Arbeitgebers, wird er für die Dauer der Schließung auch dann
kein Interesse an der Leistung seiner Verkaufsangestellten haben, wenn
diese gesund und arbeitswillig sind. Das Leistungsinteresse kann aber auch
3 Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind auf Grundlage der Zahlen von
2018 durch die Coronakrise 692.000 Alleinerziehende und 3,5 Millionen Paarfami-
lien mit Kindern unter 13 Jahren von Betreuungsengpässen bedroht, Pressemittei-
lung Nr. N 012 vom 17. März 2020, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitte
ilungen/2020/03/PD20_N012_122.html (zuletzt abgerufen am 06.06.2020).
Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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book Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
- Corona und das Allgemeine Leistungsstörungsrecht 11
- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
- Verbraucher- und Gläubigerrechte in der Corona-Krise –Ausweitung oder Einschränkung? 73
- Die vertragsrechtlichen Regelungen in Art.240 EGBGB: Voraussetzungen, Rechtsfolgen, offene Fragen 95
- Niemand zahlt mehr Miete!? ‑ Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Pflicht zur Mietzahlung 147
- Aktuelle Probleme im Reiserecht durch die Corona-Krise 175
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- Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise 223
- Vertragsrecht in der Corona-KriseCOVInsAG: Auswirkungen auf die Insolvenzantragspflicht und die Haftung der Organe 245