Page - 232 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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Ausfall oder Beschränkung des Leistungsinteresses
Den Ausfall des Leistungsinteresses regelt das Arbeitsrecht in §615 BGB,
nach dessen Satz1 der Arbeitgeber im Falle seines Annahmeverzuges Ver-
gütung auch für solche Leistungen schuldet, die der Arbeitnehmer in der
Folge nicht erbringen konnte, ohne dass dieser zur Nachleistung verpflich-
tet ist. Damit wird dem Arbeitgeber das Wirtschaftsrisiko des Arbeitsver-
hältnisses auferlegt; ist die Fortsetzung seines Betriebes infolge der Corona-
krise wegen Auftrags- oder Absatzmangels wirtschaftlich sinnlos, hat er sei-
nen Arbeitnehmern dennoch die vertragliche Vergütung zu zahlen.24
Die arbeitsvertragliche Betriebsrisikolehre
In seinem Satz3 erweitert §615 BGB diesen Grundsatz, indem er dem Ar-
beitgeber auch das sog. Betriebsrisiko zuweist, also das Risiko, die Beleg-
schaft auch ohne eigenes Verschulden aus betriebstechnischen Gründen
nicht beschäftigen zu können.25 Davon erfasst sind solche Risiken, die sich
aus dem Betrieb oder seiner Belegenheit ergeben, also z.B. Rohstoff- oder
Arbeitskraftmangel, Betriebsmittelausfälle oder Naturkatastrophen.26
Ob vom Betriebsrisiko auch eine Betriebsuntersagung durch die bun-
desweit eingeführten Eindämmungsverordnungen erfasst ist, ist freilich
nicht abschließend geklärt. Im Grundsatz hat der Arbeitgeber solche Un-
tersagungsrisiken zu tragen, die durch die besondere Eigenart seines Be-
triebes bedingt sind.27 Vor dem Hintergrund der Reichweite der
Schließungsverordnungen wird daher vertreten, dass es sich hierbei nicht
um ein betriebsbezogenes Ausfallrisiko handele, sondern sich in der Pan-
demie lediglich das allgemeine Lebensrisiko verwirkliche, welches der Ar-
I.
1.
24 ErfK/U. Preis, §615 Rn.120f.; MüKo-BGB/M. Henssler, 8. Auflage 2020, §615
Rn.98.
25 Freilich lässt sich zweifeln, ob es für diese Risikozuweisung tatsächlich eines drit-
ten Satzes bedurfte, wie er durch die Schuldrechtsmodernisierung zur Kodifizie-
rung der Betriebsrisikolehre des BAG Einzug in das BGB fand, vgl. Kritik bei
Staudinger/R. Richardi/P. Fischinger, 2016, §615 Rn.210ff.
26 ErfK/U. Preis, §615 Rn.130f.; MüKo-BGB/M. Henssler, §615 Rn.96.
27 A. Sagan/M. Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1116; ErfK/U. Preis, §615 Rn.132;
Staudinger/R. Richardi/P. Fischinger, §615 Rn.212; a.A. K.-S. Hohenstatt/C. Krois,
NZA 2020, 413f., wenn sie die Möglichkeit zur anderweitigen Erbringung der
vereinbarten Dienste zum zentralen Abgrenzungskriterium erheben, welches bei
allgemeinen, tätigkeitsbezogenen Betriebsuntersagungen trotz ihrer Betriebszuge-
hörigkeit gerade nicht zu einer Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers führt.
Stephan Klawitter
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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book Vertragsrecht in der Coronakrise"
Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
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