Page - 233 - in Vertragsrecht in der Coronakrise
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beitgeber nicht abstrakt beherrschen könne.28 Dagegen lässt sich allerdings
einwenden, dass die jeweiligen Verordnungen die Betriebsuntersagung –
wenngleich in der Summe weitreichend – doch in aller Regel in Bezug auf
ihren Geschäftsgegenstand anordnen. So regelt beispielsweise die Verord-
nung zur Eindämmung des Coronavirus in Berlin in den §§2 – 13 ver-
schiedenste Gruppen von Gewerbebetrieben und differenziert innerhalb
dieser zwischen Betrieben, die nicht für den Publikumsverkehr zu öffnen
sind und solchen, die aufgrund ihrer Bedeutung für das öffentliche Leben
trotz Pandemie weiter betrieben werden können. Insofern besteht im Pan-
demiefall sogar ein engerer Bezug zwischen Betriebsausfall und dem Ge-
schäftsgegenstand des Arbeitgebers, als dies regelmäßig bei Naturkatastro-
phen der Fall sein wird.29 Dieses Ergebnis erscheint auch interessenge-
recht, berĂĽcksichtigt man, dass der Arbeitnehmer das Pandemierisiko sei-
nerseits genauso wenig beherrschen kann wie der Arbeitgeber und das
wirtschaftliche Risiko bei Unanwendbarkeit des §615 S.3 BGB vollständig
allein zu tragen hätte, obwohl er selbst zur Leistung bereit und imstande
ist.
Der Arbeitgeber wird hierdurch auch nicht unbillig belastet. Zum
einen kann er die Verwirklichungsfolgen – ähnlich wie Naturkatastrophen
– jedenfalls insoweit abstrakt beherrschen, dass er sich gegen pandemiebe-
dingte Betriebsausfälle versichern kann.30 Führt die Lohnfortzahlung nach
vorĂĽbergehender BetriebsschlieĂźung dennoch zu einer wirtschaftlichen
Existenzgefährdung des Betriebes, so soll die Lohnfortzahlungspflicht nach
Rechtsprechung des BAG zudem ausnahmsweise entfallen,31 wobei zu er-
warten ist, dass das BAG diese Rechtsprechung auf die hier gegenständli-
28 A. Sagan/M. Brockfeld, NJW 2020, 1112, 1116 unter Verweis auf Koller, der die ab-
strakte Beherrschbarkeit als maĂźgebliches Abgrenzungsmerkmal arbeitsvertragli-
cher Betriebsrisikoverteilung ansieht, in: Die Risikozurechnung bei Vertragsstö-
rungen im Austauschverhältnis, 1979, 390ff., 423ff.; ähnlich E. Dehmel/N. Hart-
mann, BB 2020, 885, 891, die eine solche Risikoveranlagung allenfalls bei Betrie-
ben im Lebensmittel- und/oder Medizinsektor anerkennen wollen; a.A. M. Fuhl-
rott/K. Fischer, die auch bei behördlicher Schließung generell einen Fall von §615
BGB annehmen, NZA 2020, 345, 348.
29 Beispielhaft BAGE 42, 94, wonach der Arbeitgeber das Risiko eines Ausfalls der
Heizungsanlagen wegen eines plötzlichen Kälteeinbruchs zu tragen hat, ohne
dass es auf die besonderen Eigenarten des Betriebes ankommt.
30 Spätestens mit der Coronakrise dürften Pandemiefälle in der Versicherungspraxis
als ein zu berĂĽcksichtigender Risikofaktor fĂĽr Unternehmen anzusehen sein, vgl.
zum Versicherungsschutz im Pandemiefall V. Schreier, VersR 2020, 513.
31 BAG AP BGB §615 Betriebsrisiko Nr.28, aber kritisch: A. Sagan/M. Brockfeld,
NJW 2020, 1112, 1116. Das Arbeitsvertragsrecht in der Coronakrise
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https://doi.org/10.5771/9783748909279, am 02.10.2020, 12:06:58
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
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Vertragsrecht in der Coronakrise
- Title
- Vertragsrecht in der Coronakrise
- Author
- Daniel Effer-Uhe
- Editor
- Alica Mohnert
- Location
- Baden-Baden
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-0927-9
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 258
- Categories
- Coronavirus
- Recht und Politik
Table of contents
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- Wegfall der Geschäftsgrundlage als Antwort des Zivilrechts auf krisenbedingte Vertragsstörungen? - Systemerwägungen zu §313 BGB und sachgerechter Einsatz in der Praxis - 47
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