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Er stand am Fenster und blickte hinaus. Drüben der Park war ziemlich leer.
Auf einer Bank saß eine alte Frau, die eine altmodische Mantille mit
schwarzen Glasperlen um hatte. Ein Kindermädchen spazierte vorbei, einen
Knaben an der Hand, ein anderer, ganz kleiner, in Husarenuniform, mit
angeschnalltem Säbel, eine Pistole im Gürtel, lief voran, blickte stolz um sich
und salutierte einem Invaliden, der rauchend des Weges kam. Tiefer im
Garten, um den Kiosk, saßen wenige Leute, die Kaffee tranken und Zeitung
lasen. Das Laub war noch ziemlich dicht, und der Park sah bedrückt,
verstaubt und im ganzen viel sommerlicher aus, als sonst in späten
Septembertagen. Georg stützte die Arme aufs Fensterbrett, beugte sich vor
und betrachtete den Himmel. Seit dem Tode seines Vaters hatte er Wien nicht
verlassen, trotz vieler Möglichkeiten, die ihm offen standen. Er hätte mit
Felician auf das Schönsteinsche Gut fahren können; Frau Ehrenberg hatte ihn
in einem liebenswürdigen Brief in den Auhof eingeladen; und zu einer
Radtour durch Kärnten und Tirol, wie er sie längst plante, und zu der er sich
allein nicht entschließen konnte, hätte er leicht einen Gefährten gefunden.
Aber er blieb lieber in Wien und vertrieb sich die Zeit mit dem Durchblättern
und dem Ordnen von alten Familienpapieren. Er fand Erinnerungen bis zu
seinem Urgroßvater, Anastasius von Wergenthin, der aus der Rheingegend
stammte und durch Heirat mit einem Fräulein Recco in den Besitz eines alten
längst unbewohnbaren Schlößchens bei Bozen gekommen war. Auch
Dokumente zur Geschichte von Georgs Großvater waren vorhanden, der im
Jahre 1866 als Artillerieoberst vor Chlum gefallen war. Dessen Sohn,
Felicians und Georgs Vater, hatte sich wissenschaftlichen, hauptsächlich
botanischen Studien gewidmet und in Innsbruck das Doktorat der Philosophie
abgelegt. Als Vierundzwanzigjähriger lernte er ein junges Mädchen kennen
aus alter österreichischer Beamtenfamilie, das sich, vielleicht mehr um den
engen und beinahe ärmlichen Zuständen ihres Hauses zu entfliehen, als aus
innerstem Beruf, zur Sängerin ausgebildet hatte. Der Freiherr von Wergenthin
sah und hörte sie zum ersten Male im Winter in einer Konzertaufführung der
Missa solemnis, und schon im Mai darauf wurde sie seine Frau. Im zweiten
Jahre der Ehe kam Felician, im dritten Georg zur Welt. Drei Jahre später
begann die Baronin zu kränkeln und wurde von den Ärzten nach dem Süden
geschickt. Da die Heilung auf sich warten ließ, wurde der Haushalt in Wien
aufgelöst, und so fügte es sich, daß der Freiherr mit den Seinen durch viele
Jahre eine Art von Hotel- und Wanderleben führen mußte. Ihn selbst führten
Geschäfte und Studien manchmal nach Wien, die Söhne aber verließen ihre
Mutter beinahe niemals. Man lebte in Sizilien, in Rom, in Tunis, in Korfu, in
Athen, in Malta, in Meran, an der Riviera, zuletzt in Florenz; keineswegs auf
großem Fuß, aber doch standesgemäß; und nicht so sparsam, daß nicht ein
guter Teil des freiherrlichen Vermögens allmählich aufgezehrt worden wäre.
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik