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Mädchenstimmen… Er zündet die kleine Pfeife an, die er nur auf dem Land
zu rauchen pflegt; beim Schein des Zündhölzchens sieht er zwei hübsche,
ganz junge Bauerndirnen, beinah noch Kinder. Er plaudert mit ihnen. Sie
haben Angst, weil es so finster ist; sie schmiegen sich an ihn. Plötzlich
Geknatter, Raketen in der Luft. Von unten ein lautes »Ah«. Bengalisches
Licht, violett und rot, über dem unsichtbaren See in der Tiefe. Die Mädchen
den Hügel hinab, verschwinden. Dann wird es wieder dunkel, und er liegt
allein, schaut in die Finsternis hinauf, die schwül auf ihn herabsinken will.
Dies war die Nacht vor dem Tage gewesen, da sein Vater sterben mußte. Und
auch ihrer dachte er heute zum erstenmal.
Er hatte die Ringstraße verlassen, nahm die Richtung der Wieden zu. Ob
die Rosners an diesem schönen Tage zu Hause waren? Immerhin lohnte es
den kurzen Weg, und jedenfalls zog es ihn mehr dorthin, als zu Ehrenbergs.
Nach Else sehnte er sich gar nicht, und ob sie wirklich Heinrich Bermanns
Braut sein mochte oder nicht, war ihm beinahe gleichgültig. Er kannte sie
schon lange. Sie war elf, er vierzehn Jahre alt gewesen, als sie an der Riviera
miteinander Tennis gespielt hatten. Damals glich sie einem Zigeunermädel.
Blauschwarze Locken umwirbelten ihr Stirn und Wangen, und ausgelassen
war sie wie ein Bub. Ihr Bruder spielte schon damals den Lord, und Georg
mußte noch heute lächeln, wenn er sich erinnerte, wie der Fünfzehnjährige
eines Tages im lichtgrauen Schlußrock, mit weißen, schwarztamburierten
Handschuhen und einem Monokel im Aug, auf der Promenade erschienen
war. Frau Ehrenberg war damals vierunddreißig Jahre alt, hoheitsvoll, von
übergroßer Gestalt, dabei noch schön, hatte verschleierte Augen und war
meistens sehr müde. Es blieb unvergeßlich für Georg, wie eines Tages ihr
Gemahl, der millionenreiche Patronenfabrikant, die Seinen überraschte und
einfach durch sein Erscheinen der ganzen Ehrenbergischen Vornehmheit ein
rasches Ende bereitet hatte. Georg sah ihn noch vor sich, so wie er während
des Frühstücks auf der Hotelterrasse aufgetaucht war; ein kleiner, magerer
Herr mit graumeliertem Vollbart und japanischen Augen, in weißem schlecht
gebügelten Flanellanzug, einen dunklen Strohhut mit rotweiß gestreiftem
Band auf dem runden Kopf, und mit schwarzen, bestaubten Schuhen. Er
redete sehr gedehnt, immer wie höhnisch, selbst über die gleichgültigsten
Dinge; und so oft er den Mund auftat, lag es unter dem Schein der Ruhe wie
eine geheime Angst auf dem Antlitz der Gattin. Sie versuchte sich zu rächen,
indem sie ihn mit Spott behandelte; aber gegen seine Rücksichtslosigkeit kam
sie nicht auf. Oskar benahm sich, wenn es irgend möglich war, als gehörte er
nicht dazu. In seinen Zügen spielte eine etwas unsichere Verachtung für den
seiner nicht ganz würdigen Erzeuger, und Verständnis suchend lächelte er zu
den jungen Baronen hinüber. Nur Else war zu jener Zeit sehr nett mit dem
Vater. Auf der Promenade hing sie sich gern in seinen Arm, und manchmal
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik