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fiel sie ihm vor allen Leuten um den Hals.
In Florenz, ein Jahr vor seiner Mutter Tod, hatte Georg Else wiedergesehen.
Sie nahm damals Zeichenstunden bei einem alten, grau- und wirrhaarigen
Deutschen, von dem die Sage ging, daß er einmal berühmt gewesen wäre. Er
selbst verbreitete das Gerücht über sich, daß er seinen frühern, sehr bekannten
Namen, als er sein Genie schwinden fühlte, abgelegt und die Stätte seines
Wirkens, die er niemals nannte, verlassen hätte. Schuld an seinem Niedergang
trug, wenn man seinen Berichten glauben durfte, ein dämonisches
Frauenzimmer, das er geheiratet, das in einem Eifersuchtsanfall sein
bedeutendstes Bild zerstört und durch einen Sprung vom Fenster ihr Leben
geendet hatte. Dieser Mensch, den sogar der siebzehnjährige Georg als eine
Art von schwindelhaftem Narren erkannte, war der Gegenstand von Elses
erster Schwärmerei. Sie war damals vierzehn Jahre alt, die Wildheit und
Unbefangenheit der Kindheit war dahin. Vor der Tizianschen Venus in den
Uffizien glühten ihr die Wangen in Neugier, Sehnsucht und Bewunderung,
und in ihren Augen spielten dunkle Träume von künftigen Erlebnissen. Öfters
kam sie mit ihrer Mutter in das Haus, das die Wergenthins am Lungano
gemietet hatten; und während Frau Ehrenberg die leidende Baronin in ihrer
müd-geistreichen Weise zu unterhalten suchte, stand Else mit Georg am
Fenster, führte altkluge Gespräche über die Kunst der Präraffaeliten und
lächelte der vergangenen kindischen Spiele. Auch Felician erschien zuweilen,
schlank und schön, blickte mit seinen kalten, grauen Augen an Dingen und
Menschen vorbei, sprach ein paar höfliche Worte, halblaut, beinahe
wegwerfend, und setzte sich ans Bett seiner Mutter, der er zärtlich die Hand
streichelte und küßte. Gewöhnlich ging er bald wieder fort, nicht ohne für
Else einen herben Duft von uralter Vornehmheit, kaltblütiger Verführung und
eleganter Todesverachtung zurückzulassen. Stets hatte sie den Eindruck, als
begebe er sich an einen Spieltisch, an dem es um Hunderttausende herging, zu
einem Duell auf Tod und Leben, oder zu einer Fürstin mit rotem Haar und
einem Dolch auf dem Nachttisch. Georg erinnerte sich, daß er sowohl auf den
schwindelhaften Zeichenlehrer, als auf seinen Bruder ein wenig eifersüchtig
gewesen war. Der Lehrer, aus Gründen, über die niemals etwas verlautete,
wurde plötzlich entlassen, und kurz darauf fuhr Felician mit dem Freiherrn
von Wergenthin nach Wien. Nun spielte Georg noch öfter als früher den
Damen auf dem Klaviere vor, Fremdes und Eigenes, und Else sang mit ihrer
kleinen, etwas schrillen Stimme leichtere Schubertsche und Schumannsche
Lieder vom Blatt. Sie besuchte mit ihrer Mutter und Georg die Galerien und
Kirchen; als das Frühjahr wiederkam, gab es gemeinschaftliche
Spazierfahrten auf dem Hügelweg oder nach Fiesole, und lächelnde Blicke
gingen zwischen Georg und Else hin und her, die von einem tieferen
Einverständnis erzählten, als tatsächlich vorhanden war. In dieser etwas
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik