Page - 13 - in Der Weg ins Freie
Image of the Page - 13 -
Text of the Page - 13 -
wohnten. Er sah zum zweiten Stockwerk auf. Ein Fenster war offen, weiße
Tüllvorhänge in der Mitte zusammengesteckt, bewegten sich im leichten
Zuge des Windes.
Rosners waren zu Hause. Das Stubenmädchen ließ Georg eintreten. Anna
saß der Türe gegenüber, hielt die Kaffeetasse in der Hand und hatte die Augen
auf den Eintretenden gerichtet. Der Vater, zu ihrer Rechten, las Zeitung und
rauchte aus einer Pfeife. Er war glatt rasiert, nur an den Wangen liefen zwei
schmale, ergraute Bartstreifen. Sein dünnes Haar von seltsam grünlichgrauer
Färbung war an den Schläfen nach vorn gestrichen und sah aus wie eine
schlecht gemachte Perücke. Seine Augen waren wasserhell und rot gerändert.
Die beleibte Mutter, mit der wie von einer Erinnerung schönerer Jahre
umwobenen Stirn, blickte vor sich hin; ihre Hände, beschaulich ineinander
verschlungen, ruhten auf dem Tisch. Anna stellte die Tasse langsam nieder,
nickte und lächelte still. Die beiden Alten machten Miene aufzustehen, als
Georg eintrat.
»Aber bitte, sich doch nicht stören zu lassen, bitte sehr«, sagte Georg.
Da krachte etwas an der Seitenwand. Josef, der Sohn des Hauses, erhob
sich vom Diwan, auf dem er gelegen hatte.
»Habe die Ehre, Herr Baron«, sagte er mit einer sehr tiefen Stimme und
strich sein über den Hals hinaufgeschlagenes, gelbkariertes, etwas fleckiges
Sacco zurecht.
»Wie befinden sich immer, Herr Baron?« fragte der Alte, stand hager und
etwas gebückt da und wollte nicht wieder Platz nehmen, eh sich Georg
niedergelassen hatte. Josef rückte einen Stuhl zwischen Vater und Schwester.
Anna reichte dem Besucher die Hand.
»Wir haben uns lange nicht gesehen«, sagte sie und trank einen Schluck
aus ihrer Tasse.
»Sie haben traurige Zeiten durchgemacht, Herr Baron«, bemerkte Frau
Rosner teilnahmsvoll.
»Jawohl«, fügte Herr Rosner hinzu. »Wir haben mit großem Bedauern von
dem schweren Verluste gelesen… Und der Herr Vater haben sich doch immer
der besten Gesundheit erfreut, so viel uns bekannt war.« Er sprach sehr
langsam, immer, als wenn noch etwas kommen sollte, strich sich manchmal
mit der linken Hand über den Kopf und nickte, während er zuhörte.
»Ja, es ist sehr unerwartet gekommen«, sagte Georg leise und blickte auf
den dunkelroten, verschossenen Teppich zu seinen Füßen.
»Also ein plötzlicher Tod, sozusagen«, bemerkte Herr Rosner, und alles
13
back to the
book Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik