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Konzertsaal versagt sein sollte, und noch seltsamer, daß Anna unter diesem
Verhängnis kaum zu leiden schien. Freilich war er sich nicht klar darüber, ob
Annas Ruhe auch den wahren Ausdruck ihres Wesens widerspiegelte.
Er kannte sie wohl flüchtig schon seit einigen Jahren; aber erst eines
Abends im vergangenen Frühling waren sie einander näher gekommen. Im
Waldsteingarten hatte sich damals eine größere Gesellschaft Rendezvous
gegeben. Man speiste im Freien, unter hohen Kastanienbäumen, vergnügt,
angeregt und berückt von dem ersten warmen Maiabend des Jahres. Georg
sah sie alle wieder, die damals gekommen waren. Frau Ehrenberg, die
Veranstalterin der Zusammenkunft, absichtlich matronenhaft mit einem lose
sitzenden, dunkeln Foulardkleid angetan; Hofrat Wilt, wie in der Maske eines
englischen Staatsmanns, mit vornehm schlampigen Gebärden und mit dem
gleichen, etwas wohlfeilen Ton der Überlegenheit für sämtliche Dinge und
Menschen; Frau Oberberger, die mit dem grau gepuderten Haar, den
blitzenden Augen und dem Schönheitspflästerchen auf dem Kinn einer
Rokokomarquise ähnelte; Demeter Stanzides mit den weiß glänzenden
Zähnen, und auf der blassen Stirn die Müdigkeit eines alten
Heldengeschlechtes; Oskar Ehrenberg, mit einer Eleganz, die viel vom ersten
Kommis eines Modehauses, manches von der eines jugendlichen
Gesangskomikers und auch einiges von der eines jungen Herrn aus der
Gesellschaft hatte; Sissy Wyner, die ihre dunkeln, lachenden Augen von
einem zum andern sandte, als sei sie mit jedem einzelnen durch ein andres
lustiges Geheimnis verbunden; Willy Eißler, der heiser und fidel allerlei heitre
Geschichten aus seiner Militärzeit und jüdische Anekdoten erzählte; Else
Ehrenberg, von zarter Frühlingsmelancholie umflossen in weißem englischem
Tuchkleid, mit den Bewegungen einer großen Dame, die sich zu dem
Kindergesicht und der zarten Figur anmutig und beinahe rührend ausnahmen;
Felician, kühl und liebenswürdig, mit hochmütigen Augen, die zwischen den
Gästen hindurch zu andern Tischen und auch an diesen vorbei in die Ferne
sahen; Sissys Mutter, jung, rotbackig und plappernd, die überall zugleich
mitreden und überall zugleich mithören wollte; Edmund Nürnberger, in den
bohrenden Augen und um den schmalen Mund jenes fast maskenhaft
gewordene Lächeln der Verachtung für ein Welttreiben, das er bis auf den
Grund durchschaute, und in dem er sich doch manchmal zu seinem eigenen
Erstaunen selbst als Mitspieler entdeckte; endlich Heinrich Bermann, in
einem zu weiten Sommeranzug, mit einem zu billigen Strohhut, mit einer zu
lichten Kravatte, der bald lauter sprach und bald tiefer schwieg als die andern.
Zuletzt, ohne jede Begleitung und in sicherer Haltung war Anna Rosner
erschienen, hatte mit leichtem Kopfnicken die Gesellschaft begrüßt und
ungezwungen zwischen Frau Ehrenberg und Georg Platz genommen. »Die
hab ich für Sie eingeladen«, bemerkte Frau Ehrenberg leise zu Georg, der sich
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik