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Wirtshausgartens und einer etwas gequälten Unterhaltung geraten war.
Vor einem Ringelspiel, aus dem ein riesiger Leierkasten phantastisch-
orgelhaft ein Potpourri aus dem »Troubadour« ins Freie sandte und an dessen
Eingang ein Ausrufer zur Reise nach London, Atzgersdorf und Australien
aufforderte, erinnerte sich Georg wieder der Frühjahrspartie mit der
Ehrenbergschen Gesellschaft. Auf dieser schmalen Bank, im Innern des
Raumes, war Frau Oberberger gesessen, den Kavalier des Abends, Demeter
Stanzides, zur Seite und hatte ihm wahrscheinlich eine ihrer unglaublichen
Geschichten erzählt: daß ihre Mutter die Geliebte eines russischen
Großfürsten gewesen; daß sie selbst mit einem Anbeter eine Nacht auf dem
Hallstädter Friedhof verbracht, natürlich ohne daß etwas geschehen war; oder
daß ihr Gatte, der berühmte Reisende, in einem Harem zu Smyrna in einer
Woche siebzehn Frauen erobert hatte. In diesem rotsamtgepolsterten
Wägelchen, mit Hofrat Wilt als Gegenüber, hatte Else gelehnt, damenhaft
anmutig, ungefähr wie in einem Fiaker am Derbytag und hatte doch
verstanden, durch Haltung und Miene zum Ausdruck zu bringen, daß sie,
wenn es darauf ankäme, gerade so kindlich sein konnte wie andre einfältige,
glücklichere Menschen. Anna Rosner, lässig die Zügel in der Hand, würdig,
aber mit einem etwas verschmitzten Gesicht, ritt einen weißen Araber; Sissy
wiegte sich auf einem Rappen, der sich nicht nur im Kreise mit den andern
Tieren und Wagen drehte, sondern außerdem hin und herschaukelte. Unter der
kühnen Frisur mit dem riesigen, schwarzen Federhut blitzten und lachten die
frechsten Augen, über den ausgeschnittenen Lackschuhen und
durchbrochenen Strümpfen flatterte und flog der weiße Rock. Auf zwei
fremde Herren hatte Sissys Erscheinung so seltsam gewirkt, daß sie ihr eine
unzweideutige Einladung zuriefen, worauf eine kurze, geheimnisvolle
Unterhaltung zwischen Willy, der sofort zur Stelle war, und den zwei ziemlich
betretenen Herren erfolgte, die anfangs durch das nonchalante Anzünden
neuer Zigaretten ihre Position zu retten versuchten, aber dann plötzlich in der
Menge verschwunden waren.
Auch die Bude mit den »Illusionen« und Lichtbildern hatte für Georg ihre
besondere Erinnerung. Hier, während Daphne sich in einen Baum
verwandelte, hatte ihm Sissy ein leises »remember« ins Ohr geflüstert und
ihm damit den Maskenball bei Ehrenbergs ins Gedächtnis gerufen, an dem
sie, wohl nicht für ihn allein, den Spitzenschleier zu einem flüchtigen Kuß
gelüftet hatte. Dann kam die Hütte, wo die ganze Gesellschaft sich hatte
photographieren lassen: die drei jungen Mädchen, Anna, Else und Sissy in
genienhafter Pose, die Herren mit himmelnden Augen ihnen zu Füßen, so daß
das Ganze etwa ausgesehen hatte, wie die Apotheose aus einer Zauberposse.
Und während Georg sich jener kleinen Erlebnisse entsann, schwebte ihm
immer der heutige Abschied von Anna durch die Erinnerung und schien ihm
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik