Page - 55 - in Der Weg ins Freie
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»Warum denn nicht?«
»Sie sollten einfach jung sein, leuchten, leben, und dann, wenns halt nicht
weiter geht – tun was Ihnen beliebt… aber ohne über sich und die Welt
nachzudenken.«
»Das hätten Sie mir früher sagen müssen, Fräulein Else. Wenn man einmal
angefangen hat, gescheit zu werden… «
Else schüttelte den Kopf. »Aber bei Ihnen wäre es vielleicht zu vermeiden
gewesen«, sagte sie ganz ernsthaft. Und dann mußten beide lachen.
Die Flammen des Lusters glühten auf. Georg von Wergenthin und Heinrich
Bermann waren eingetreten. Durch ein Lächeln Elses eingeladen, nahm
Georg an ihrer Seite Platz.
»Ich habs gewußt, daß Sie kommen werden«, sagte sie unaufrichtig, aber
herzlich und drückte seine Hand. Daß er ihr wieder gegenübersaß nach so
langer Zeit, daß sie sein anmutig stolzes Gesicht wiedersehen, seine etwas
leise, aber warme Stimme hören durfte, freute sie mehr, als sie geahnt hatte.
Frau Wyner erschien; klein, hochrot, lustig und verlegen. Ihre Tochter Sissy
mit ihr. Im Hin und Her der Begrüßung lösten sich die Gruppen.
»Nun, haben Sie mir schon das Lied komponiert?« fragte Sissy Georg mit
lachenden Augen und lachenden Lippen, spielte mit einem ihrer Handschuhe
und bewegte sich in ihrem dunkelgrünen schillernden Kleid wie eine
Schlange.
»Ein Lied?« fragte Georg. Er erinnerte sich wirklich nicht.
»Oder auch einen Walzer oder so was. Aber daß Sie mir etwas widmen
werden, haben Sie mir versprochen.« Während sie sprach, wanderten ihre
Blicke umher. Sie glühten in die Augen Willys, schmeichelten sich an
Demeter vorbei, stellten an Heinrich Bermann eine rätselhafte Frage. Es war,
wie wenn Irrlichter durch den Salon tanzten.
Frau Wyner stand plötzlich neben ihrer Tochter, tief errötend: »Sissy ist ja
so dumm… was glaubst du denn, Sissy, der Baron Georg hat heuer
wichtigeres zu tun gehabt, als für dich zu komponieren.«
»O gewiß nicht«, sagte Georg höflich.
»Sie haben Ihren Vater begraben, das ist keine Kleinigkeit.«
Georg sah vor sich hin. Frau Wyner aber sprach unbeirrt weiter: »Ihr Vater
war noch nicht alt, nicht wahr? Und ein so schöner Mann… ist es wahr, daß
er Chemiker gewesen ist?«
»Nein«, erwiderte Georg gefaßt, »er war Präsident der botanischen
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik