Page - 67 - in Der Weg ins Freie
Image of the Page - 67 -
Text of the Page - 67 -
Sie spazierten weiter.
»Also doch Leo Golowski?« fragte Georg.
Sie schüttelte den Kopf und lächelte. »Das war die Jugendliebe«, erwiderte
sie, »das gilt überhaupt nicht. Übrigens möcht ich das 16jährige Mädel
kennen, das sich auf dem Land nicht in einen schönen Jüngling verliebt hätte,
der sich mit einem veritabeln Grafen schlägt und dann acht Tage mit dem
Arm in der Schlinge herumspaziert.«
»Aber er hat es doch nicht deinetwegen getan, sondern sozusagen für die
Ehre seiner Schwester.«
»Für Theresens Ehre? Wie kommst du auf die Idee?«
»Du hast mir doch erzählt, daß der junge Mensch Therese im Walde
angesprochen hatte, während sie die ›Emilia Galotti‹ studierte.«
»Ja das ist schon wahr. Übrigens hat sie sich ganz gern ansprechen lassen.
Dem Leo war es aber nur deswegen zuwider, weil der junge Graf zu einer
Gesellschaft von jungen Leuten gehört hat, die sich wirklich ziemlich frech
und halt ein bissel antisemitisch benommen haben. Und wie Therese einmal
mit ihrem Bruder am See spazieren geht und der Graf kommt daher und redet
Therese an wie eine gute Bekannte und murmelt nur so beiläufig für Leo
seinen Namen, da hat Leo ein Buckerl gemacht und sich ihm mit den Worten
vorgestellt: ›Leo Golowski, Jüd aus Krakau.‹ Was es weiter gegeben hat, weiß
ich nicht genau. Es ist zu einem Wortwechsel gekommen, und am nächsten
Tag war dann das Duell in Klagenfurt in der Kavalleriekaserne.«
»Da hab ich doch recht«, beharrte Georg spöttisch, »für die Ehre seiner
Schwester hat er sich geschlagen.«
»Nein, sag ich dir. Ich bin ja dabei gewesen, wie er später einmal mit
Therese über die Geschichte gesprochen und ihr gesagt hat: ›Von mir aus
kannst du tun, was dir Spaß macht, kannst dir den Hof machen lassen, von
wem du willst‹… «
»Nur ein Jud muß es halt sein… «, ergänzte Georg.
Anna schüttelte den Kopf. »So ist er wirklich nicht.«
»Ich weiß«, erwiderte Georg mild. »Wir sind ja sehr gute Freunde
geworden in der letzten Zeit, dein Leo und ich. Gestern Abend erst sind wir
wieder im Kaffeehaus zusammen gewesen, und er war wirklich sehr
herablassend zu mir. Ich glaube, mir verzeiht er sogar meine Abstammung.
Im übrigen hab ich dir noch gar nicht erzählt, daß auch Therese heute bei
Ehrenbergs oben war.« Und er berichtete von dem Erscheinen des jungen
Mädchens im Salon Ehrenberg und von dem Eindruck, den sie auf Demeter
67
back to the
book Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik