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Zündhölzchen aus, das er noch in der Hand hielt. Er wußte sofort, was Anna
meinte, wunderte sich, daß er seit dem letzten Zusammensein selbst nicht
mehr daran gedacht hatte, trat zu ihr hin und faßte ihre Hand. Nun erst
schaute sie auf, undurchdringlich, mit bewegungslosen Zügen.
»Du Anna sag doch… «, er setzte sich an ihre Seite auf den Diwan, ihre
beiden Hände in den seinen.
Sie schwieg.
»Warum redest du nicht?«
Sie zuckte die Achseln. »Es ist eben gar nichts Neues zu berichten«,
erklärte sie dann einfach.
»So«, sagte er langsam. Es ging ihm durch den Sinn, ob nicht ihre heutige
sonderbare Gereiztheit schon als ein Anzeichen des Zustandes zu deuten war,
auf den sie anspielte, und Unruhe stieg in seiner Seele auf. »Aber sicher ist
die Sache deswegen noch lange nicht«, sagte er in etwas kühlerm Tone, als er
eigentlich wollte. »Und… und wenn auch –«, setzte er mit gekünstelter
Lebhaftigkeit hinzu.
»Also du würdest mir verzeihen?« fragte sie lächelnd.
Er drückte sie an sich und war plötzlich ganz aufgeräumt. Eine lebhafte,
etwas gerührte Zärtlichkeit flammte in ihm auf für das sanfte, gute Geschöpf,
das er in den Armen hielt, und von dem ihm, er fühlte es tief, niemals ein
ernstliches Leid kommen konnte. »Es wäre wahrhaftig nicht so schlimm«,
sagte er heiter. »Du würdest eben Wien für einige Zeit verlassen, das ist
alles.«
»Na, gar so einfach wär das allerdings nicht, wie du dir’s plötzlich
vorzustellen scheinst.«
»Warum nicht? Eine Ausrede ist bald gefunden. Im übrigen, wen geht’s
denn an? Uns zwei. Niemanden andern. Und was mich anbelangt, so weißt
du, ich kann jeden Tag fort. Kann auch ausbleiben, so lange ich will. Ich habe
noch nicht einmal einen Kontrakt fürs nächste Jahr unterschrieben«, setzte er
lächelnd hinzu. Dann erhob er sich, um die Wachskerzchen auszulöschen,
deren kleine Flammen beinahe ganz heruntergebrannt waren; und immer
lebhafter sprach er weiter. »Es wäre sogar wunderschön. Denk doch, Anna!
Ende Februar, oder anfangs März würden wir abreisen, in den Süden
natürlich, nach Italien, ans Meer vielleicht. Würden an irgendeinem stillen Ort
wohnen, wo kein Mensch uns kennt, in einem schönen Hotel mit einem
Riesenpark. Und arbeiten könnt man da unten, Donnerwetter!«
»Also darum!« sagte sie, wie in plötzlichem Verstehen. Er lachte, nahm sie
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik