Page - 99 - in Der Weg ins Freie
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fester in seine Arme, und sie drängte sich an seine Brust. Von draußen kam
kein Laut mehr. Orgel und Menschenstimmen waren verklungen. Vor den
Fenstern schwebte der Schneevorhang nieder… Georg und Anna waren
glücklich wie niemals zuvor.
Während sie im Dunkel ruhten, sprach er von seinen musikalischen Plänen
für die nächste Zeit und erzählte ihr Heinrichs Opernstoff, soweit er es
vermochte. Mit schimmernden Schatten füllte sich der Raum. Einen
märchenhaften Königssaal durchrauschte ein Hochzeitsfest. Ein
leidenschaftlicher Jüngling schlich sich ein und zückte seinen Dolch auf den
Fürsten. Ein dunkles Urteil, geheimnisvoller als der Tod, wurde verkündet.
Auf dämmernder Flut trieb ein träges Schiff unbekannten Zielen entgegen. Zu
Füßen des Jünglings ruhte eine Prinzessin, die eines Herzogs Braut gewesen.
Ein Unbekannter nahte auf leuchtendem Kahn mit seltsamer Botschaft;
Narren, Sterngucker, Tänzerinnen, Höflinge schwebten vorbei. Schweigend
hatte Anna gelauscht. Am Ende war Georg neugierig zu erfahren, was für
einen Eindruck sie von den flüchtigen Bildern empfangen hätte.
»Ich kann’s nicht recht sagen«, erwiderte sie. »Jedenfalls ist es mir heut
noch ganz rätselhaft, wie aus dem ziemlich wirren Zeug jemals irgendwas
Wirkliches werden soll.«
»Natürlich kannst du dir das heute noch nicht vorstellen besonders nach
meiner Erzählung… Aber den musikalischen Hauch, der aus der Geschichte
herausweht, den spürst du doch, nicht wahr? Ich hab mir sogar schon ein paar
Motive aufnotiert, – und ich möchte sehr gern, daß Bermann sich bald
ernstlich an die Arbeit machte.«
»An deiner Stelle, Georg… ich darf doch was sagen?«
»Natürlich, red nur.«
»Also ich an deiner Stelle würde doch zuerst einmal das Quintett
abschließen. Es kann ja jetzt nicht mehr viel dran fehlen.«
»Viel nicht und doch… Übrigens darfst du nicht vergessen, daß ich in der
letzten Zeit allerlei anderes angefangen habe. Die zwei Klavierstücke, dann
das Orchesterscherzo – das ist sogar ziemlich weit gediehn. Aber es gehört
unbedingt in eine Symphonie.«
Anna erwiderte nichts. Georg merkte, daß ihre Gedanken abschweiften,
und er fragte sie, wohin sie ihm denn schon wieder entrückt sei.
»Nicht gar so weit«, entgegnete sie. »Mir ist nur so durch den Kopf
gegangen, was alles geschehen sein kann, bis die Oper einmal wirklich fertig
sein wird.«
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik