Page - 102 - in Der Weg ins Freie
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»Warum sagten Sie«, fragte Frau Oberberger, »Sie hätten so viel Glück
haben können wie ein Husarenrittmeister? Es ist gar nicht wahr, daß Offiziere
besonders viel Glück bei den Frauen haben. Wenn meine Schwägerin auch
einmal ein Verhältnis mit einem Oberleutnant gehabt hat… «
»Ich glaube nicht an platonische Liebe«, sagte Sissy und leuchtete durch
den Saal.
Frau Wyner schrie leise auf.
»Fräulein Sissy hat wahrscheinlich recht«, sagte Nürnberger. »Wenigstens
bin ich überzeugt, daß die meisten Frauen platonische Liebe entweder als
Beleidigung auffassen oder als Ausrede.«
»Es sind junge Mädchen da«, erinnerte Frau Ehrenberg mild.
»Das merkt man schon daraus«, sagte Nürnberger, »daß sie mitreden.«
»Trotzdem möchte ich mir erlauben, zu dem Kapitel platonische Liebe eine
kleine Anekdote zu erzählen«, sagte Heinrich.
»Nur keine jüdische«, warf Else ein.
»Gewiß nicht. Hören Sie nur. Ein kleines blondes Mädel… «
»Das beweist nichts«, unterbrach Else.
»Laß doch zu Ende erzählen,« mahnte Frau Ehrenberg.
»Also: ein kleines, blondes Mädel«, begann Heinrich von neuem, »hat
einmal, im Gegensatz zu Fräulein Sissy, mir gegenüber die Überzeugung
ausgesprochen, daß platonische Liebe tatsächlich existiere. Und wissen Sie,
was sie mir als Beweis dafür angeführt hat… ? Ein eigenes Erlebnis. Sie hat
nämlich einmal eine Stunde, wie sie mir erzählte, ganz allein in einem
Zimmer mit einem Leutnant verbracht und… «
»Es ist genug«, rief Frau Ehrenberg angstvoll.
»Und«, schloß Heinrich unbeirrt und beruhigend, »es ist in dieser Stunde
nicht das geringste vorgefallen.«
»Sagt das blonde Mädel«, ergänzte Else.
Die Tür öffnete sich, Georg sah eine fremde Dame eintreten, in einem
hellblauen, viereckig ausgeschnittenen Kleid, blaß, einfach und vornehm. Erst
als sie lächelte, ward ihm bewußt, daß die Dame Anna Rosner war, und er
empfand irgend etwas wie Stolz auf sie. Als er der Geliebten die Hand
reichte, fühlte er den Blick Elses auf sich gerichtet.
Man begab sich ins Nebenzimmer, wo der Tisch mit bescheidener
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik