Page - 108 - in Der Weg ins Freie
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Willy war herzugetreten. »Jetzt sagen S’ nur noch Herr Hofrat, daß Sie sie
nachpfeifen können, und wenn ich mich auf Physiognomien verstehe, so
schickt Ihnen der Baron morgen früh zwei Herren.«
»O nein«, sagte Georg, sich auf sich besinnend und lächelte. »Die Lieder
stammen glücklicherweise aus einer längst überwundenen Zeit. Ich fühle
mich also durch keinerlei Tadel und keinerlei Lob verletzt.«
Ein Diener brachte Eis, die Gruppen lösten sich, und Anna stand mit Georg
allein am Klavier. Er fragte sie rasch: »Was hat denn das zu bedeuten
gehabt?«
»Ja ich weiß nicht«, erwiderte sie und sah ihn mit großen Augen an.
»Ist dir denn auch schon ganz wohl?«
»Aber vollkommen«, antwortete sie.
»Und ist dir das heute zum erstenmal passiert?« fragte Georg etwas
zögernd.
Sie erwiderte: »Gestern Abend zu Haus hab ich was ähnliches gehabt. So
eine Art von Ohnmacht. Es hat sogar noch etwas länger gedauert. Während
wir noch beim Nachtmahl gesessen sind. Es hat’s aber niemand bemerkt.«
»Warum hast du mir denn gar nichts davon gesagt?«
Sie zuckte leicht die Achseln.
»Du Anna«, sagte er lebhaft und etwas schuldbewußt, »ich möcht dich
jedenfalls noch sprechen. Gib mir ein Zeichen, wenn du fortgehen willst. Ich
verschwind’ ein paar Minuten vor dir und wart’ am Schwarzenbergplatz, bis
du im Wagen kommst. Dann steig ich zu dir ein, und wir fahren noch ein
bißchen spazieren. Ist es dir recht?«
Sie nickte.
Er sagte: »Auf Wiedersehen, Schatz« und begab sich ins Rauchzimmer. An
einem grünen Tischchen hatten sich der alte Ehrenberg, Nürnberger und Wilt
zum Tarockspiel niedergelassen. Auf zwei riesigen, grünen Lederfauteuils,
nebeneinander, saßen der alte Eißler und sein Sohn und benützten die
Gelegenheit, sich endlich einmal ordentlich miteinander auszuplaudern.
Georg nahm eine Zigarre aus einem Kistchen, steckte sie sich an und
betrachtete ohne besondere Anteilnahme die Bilder an der Wand. Auf einem
grotesk gehaltenen Aquarell, das ein von rot befrackten Herren gerittenes
Hürdenrennen vorstellte, sah er unten in der Ecke mit blaßroten Buchstaben
auf die grüne Wiese gezeichnet Willys Namen. Unwillkürlich wandte er sich
nach dem jungen Mann um und sagte: »Das hab ich noch gar nicht gekannt.«
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik