Page - 113 - in Der Weg ins Freie
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»Voriges Jahr«, sagte Sissy, »haben Sie mir Ihr Wort versprochen, daß Sie
hinkommen werden, wo ich bin. Sie haben es nicht getan. Heuer aber müssen
Sie Ihr Wort halten.«
»Gehn Sie wieder nach der Isle of Wight?«
»Nein, wir werden diesmal ins Gebirge gehen, nach Tirol oder ins
Salzkammergut. Ich will Ihnen schon sagen. Werden Sie kommen?«
»Sie dürften jedenfalls wieder ein großes Gefolge haben?«
»Ich werde mich für keinen kümmern als für Sie, Georg.«
»Auch wenn Willy Eißler sich zufällig in Ihrer Nähe aufhalten sollte?«
»O«, sagte sie mit einem verworfenen Lächeln und drückte das Feuer ihrer
Zigarette gewaltsam in der gläsernen Aschenschale aus.
Sie redeten weiter. Es war eines jener Gespräche, wie sie es in den letzten
Jahren so oft geführt hatten. Scherzend und leicht fing es an und glühte am
Ende von zärtlichen Lügen, die einen Augenblick lang Wahrheit waren.
Georg war wieder einmal berückt von Sissy.
»Am liebsten möcht ich mit Ihnen eine Reise machen«, flüsterte er ganz
nah bei ihr.
Sie nickte nur, ihr linker Arm lag auf der breiten Lehne des Diwans. »Wenn
man könnte, wie man wollte«, sagte sie und hatte einen Blick, der von
hundert Männern träumte.
Er beugte sich über ihren zitternden Arm, redete weiter und berauschte sich
an seinen eigenen Worten. »Irgendwo, wo niemand uns kennt, wo man sich
um keinen Menschen kümmern müßte, möchte ich mit Ihnen zusammen sein,
Sissy. Viele Tage und Nächte.«
Sissy bebte. Das Wort Nächte jagte ihr Schauer durchs Blut.
Anna erschien in der Tür, gab Georg mit dem Blick ein Zeichen und
verschwand gleich wieder. Er lehnte sich innerlich auf, und doch war es ihm
ganz recht, daß er sich gerade jetzt von Sissy verabschieden durfte. In der Tür
zum Salon begegnete er Heinrich, der ihn ansprach. »Wenn Sie gehen, sagen
Sie mir’s bitte, ich möchte gern noch mit Ihnen reden.«
»Mit Vergnügen. Aber ich muß… ich habe nämlich Fräulein Rosner
versprochen, sie nach Hause zu begleiten. Dann komm ich gleich ins
Kaffeehaus. Auf Wiedersehen also.«
Ein paar Minuten später stand er auf der Schwarzenbergbrücke. Der
Himmel war voller Sterne, die Straßen lagen weiß und still. Georg schlug den
Kragen auf, obwohl es gar nicht mehr kalt war und ging hin und her. Ob aus
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik