Page - 116 - in Der Weg ins Freie
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»Wieso?« rief Winternitz.
»Fragen Sie sich doch nur selber aufs Gewissen, ob dieses ›hei‹ ehrlich
empfunden ist. Alles übrige, was Sie mir da vorgelesen haben, glaub ich
Ihnen. Das heißt, ich glaub es Ihnen in höherm Sinn, obzwar kein Wort davon
wahr ist. Ich glaube Ihnen, daß Sie ein fünfzehnjähriges Mädchen verführen,
daß Sie sich benehmen wie ein ausgepichter Don Juan, daß Sie das arme
Geschöpf in der furchtbarsten Weise verderben, daß es Sie mit einem,… was
war er nur… «
»Ein Clown natürlich«, rief Winternitz mit wahnwitzigem Lachen.
»Daß es Sie mit einem Clown betrügt, daß Sie durch dieses Geschöpf in
immer dunklere Abenteuer geraten, daß Sie die Geliebte, ja sich selber
umbringen wollen, daß Ihnen die Geschichte schließlich egal wird, daß Sie
durch die Welt reisen, oder sogar jagen, meinetwegen bis Australien, ja, das
alles glaub ich Ihnen, aber daß Sie der Mensch sind ›hei‹ zu rufen, das, lieber
Winternitz, das ist einfach ein Schwindel.«
Winternitz verteidigte sich. Er beschwor, daß dieses »hei« aus seinem
innersten Wesen hervorgegangen wäre, zum mindesten aus einem gewissen
Element seines innersten Wesens. Auf weitere Einwände Heinrichs zog er
sich allmählich zurück und erklärte endlich, daß er sich irgendeinmal bis zu
jener innern Freiheit durchzuringen hoffe, die ihm gestatten würde »hei« zu
rufen.
»Niemals wird diese Zeit kommen«, entgegnete Heinrich bestimmt. »Sie
werden vielleicht einmal bis zum epischen oder dramatischen ›hei‹ kommen,
das lyrisch subjektive ›hei‹ bleibt Ihnen, bleibt unsereinem, mein lieber
Winternitz, doch bis in alle Ewigkeit versagt.«
Winternitz versprach das letzte Gedicht zu ändern, sich überhaupt weiter zu
entwickeln und an seiner innern Reinigung zu arbeiten. Er stand auf, wobei
seine gestärkte Hemdbrust knackte und ein Knopf aufsprang, reichte Heinrich
und Georg eine etwas feuchte Hand und begab sich in den Hintergrund an den
Tisch der Literaten. Georg äußerte sich vorsichtig anerkennend zu Heinrich
über die Gedichte, die er gehört hatte.
»Er ist mir noch der liebste von der ganzen Gesellschaft, persönlich
wenigstens«, sagte Heinrich. »Er weiß doch wenigstens innerlich eine
gewisse Distanz zu wahren. Ja. Sie brauchen mich nicht gleich wieder
anzusehen, als wenn Sie mich auf einem Anfall von Größenwahn ertappten.
Aber ich kann Sie versichern, Georg, von der Sorte Leute«, er streifte den
Tisch drüben mit einem flüchtigen Blick, »denen immer ein ›ä soi‹ auf den
Lippen schwebt, hab ich nachgerade genug.«
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik