Page - 120 - in Der Weg ins Freie
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Ich bin beschäftigt, die Nichtigkeit von Nichtigkeiten nachzuweisen.«
»Du könntest dir ja Abwechslung verschaffen, Rapp«, sagte Heinrich.
»Versuch einmal dein Glück und preise die Herrlichkeit der Herrlichkeiten.«
»Wozu?« sagte Rapp und setzte den Zwicker auf. »Die beweist sich selbst
im Laufe der Zeit. Aber die Stümperei erlebt meist nur ihr Glück und ihren
Ruhm, und wenn ihr die Welt endlich auf den Schwindel kommt, hat sie sich
längst in ihr Grab oder… in ihre vermeintliche Unsterblichkeit geflüchtet.«
Sie standen auf der Straße und schlugen alle die Rockkragen auf, da es
wieder heftig zu schneien begonnen hatte. Gleißner, der vor ein paar Wochen
seinen ersten, großen Theatererfolg erlebt hatte, erzählte geschwind, daß auch
die heutige siebente Vorstellung seines Werkes ausverkauft gewesen war.
Rapp knüpfte daran hämische Bemerkungen über die Dummheit des
Publikums. Gleißner erwiderte mit Späßen über die Machtlosigkeit der Kritik
gegenüber dem wahren Genie; – und so spazierten sie davon, mit
aufgestellten Kragen, durch den Schnee, ganz eingehüllt in den dampfenden
Haß ihrer alten Freundschaft.
»Dieser Rapp hat kein Glück«, sagte Heinrich zu Georg. »Bei allen seinen
Freunden, denen er vor zehn Jahren Erfolg prophezeit hat, trifft es nun
wirklich ein. Er wird es auch Gleißner nicht verzeihen, daß der ihn nicht
enttäuscht hat.«
»Halten Sie ihn für so neidisch?«
»Das kann man nicht einmal sagen. So einfach liegen ja die Dinge selten,
daß sie mit einem Wort abzutun wären. Aber bedenken Sie doch nur, was das
für ein Los ist, in dem Glauben herumzugehen, daß man das tiefste Wissen
von der Welt so gut in sich trägt wie Shakespeare und dabei zu fühlen, daß
man nicht einmal so viel davon auszusprechen imstande ist, als beispielsweise
Herr Gleißner, obwohl man vielleicht gerade so viel wert ist – oder mehr.«
Sie gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. Die Bäume auf
dem Ring standen starr mit weißen Ästen. Vom Rathausturm schlug es drei.
Sie überschritten die menschenleere Straße und nahmen den Weg durch den
stillen Park. Rings schimmerte es fast hell vom unablässig sinkenden Schnee.
»Das neueste hab ich Ihnen übrigens noch nicht erzählt«, begann Heinrich
endlich, vor sich hinschauend und in trockenem Ton.
»Was denn?«
»Daß ich nämlich anonyme Briefe bekomme, seit einiger Zeit.«
»Anonyme Briefe? Welchen Inhalts?«
»Nun, Sie können sich’s wohl denken.«
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik