Page - 121 - in Der Weg ins Freie
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»Ach so.« Es war Georg klar, daß es sich nur um die Schauspielerin
handeln konnte. Aus der fremden Stadt, wo Heinrich die Geliebte in einem
neuen Stück die Rolle eines verdorbenen Geschöpfes mit einer ihm
unerträglichen Naturwahrheit hatte spielen gesehen, war er in bittereren
Qualen zurückgekehrt, als je. Georg wußte, daß seither Briefe voll
Zärtlichkeit und Hohn, voll Groll und Verzeihung, peinvoll zerrüttete und
mühsam beruhigte, zwischen ihnen hin und her gingen.
»Seit acht Tagen etwa«, erzählte Heinrich, »kommen diese angenehmen
Sendungen regelmäßig jeden Morgen. Nicht sehr angenehm, ich versichere
Sie!«
»Ach Gott, was liegt Ihnen denn dran. Sie wissen ja selbst, in anonymen
Briefen steht nie die Wahrheit.«
»Im Gegenteil, lieber Georg, immer.«
»Aber!«
»Die höhere Wahrheit gewissermaßen enthalten solche Briefe. Die große
Wahrheit der Möglichkeiten. Die Menschen haben im allgemeinen nicht
genug Phantasie, um aus dem Nichts zu schaffen.«
»Das wäre eine schöne Auffassung! Wo käme man denn da hin? Da
machen Sie den Verleumdern aller Art die Sache doch etwas zu bequem.«
»Warum sagen Sie Verleumder? Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß
in den anonymen Briefen, die ich erhalte, Verleumdungen enthalten sind.
Vielleicht Übertreibungen, Ausschmückungen, Ungenauigkeiten… «
»Lügen… «
»Nein, es werden wohl nicht Lügen sein. Einige wohl. Aber wie soll man
Wahrheit und Lüge auseinanderhalten in solch einem Fall?«
»Dafür gibt es doch ein höchst einfaches Mittel. Fahren Sie hin.«
»Ich soll hinfahren?«
»Natürlich sollten Sie das. An Ort und Stelle müßten Sie doch der Wahrheit
sofort auf den Grund kommen.«
»Es wäre immerhin möglich.«
Sie wanderten unter Bogengängen, auf feuchtem Stein. Ihre Stimmen und
Schritte hallten. Georg begann von neuem. »Statt solche jedenfalls enervante
Unannehmlichkeiten weiter durchzumachen, würd ich mich doch persönlich
zu überzeugen suchen, wie die Dinge stehen.«
»Ja, das richtigste wäre es wohl.«
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik