Page - 124 - in Der Weg ins Freie
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Ihnen zu Hause steht und was Sie arbeiten. Überhaupt«, setzte er herzlich
hinzu, »wir müssen in ununterbrochener Verbindung bleiben.«
Der Hausmeister stand da, mit gesträubtem Haar, verschlafenem und
bösem Blick, in einem grünlich-braunen Schlafrock, mit Schlapfen an den
nackten Füßen.
Heinrich reichte Georg ein letztes Mal die Hand. »Auf Wiedersehen, lieber
Freund«, sagte er. Und dann, leiser, auf den Torwächter deutend: »Ich kann
ihn nicht länger warten lassen. Wie er mich in dieser Sekunde bei sich nennt,
können Sie von seiner edeln, unverfälscht einheimischen Physiognomie ohne
besondere Schwierigkeiten ablesen. Adieu.«
Georg mußte lachen. Heinrich verschwand, das Tor schmetterte zu.
Georg empfand keine Spur von Schläfrigkeit und entschloß sich, zu Fuß
heimwärts zu wandern. Er war in erregter, gehobener Stimmung. Den Tagen,
die nun kommen sollten, sah er mit eigentümlicher Spannung entgegen. Er
dachte an das morgige Wiedersehen mit Anna, an Besprechungen, die in
Aussicht waren, an die Abreise, an das Haus, das schon irgendwo in der Welt
stand, und das ihm in seiner Vorstellung jetzt ungefähr erschien, wie ein Haus
aus einer Spielereischachtel, licht, grün, mit einem knallroten Dach und einem
schwarzen Rauchfang. Und wie ein Bild, von einer Laterna magica an einen
weißen Vorhang geworfen, erschien ihm seine eigene Gestalt: er sah sich auf
einem Balkon sitzen, in beglückter Einsamkeit, vor einem mit Notenblättern
überdeckten Tisch; Äste wiegten sich vor den Gitterstäben; ein heller Himmel
ruhte über ihm, und tief unten zu seinen Füßen, in traumhaft übertriebenem
Blau, lag das Meer.
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik