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Beethoven und Schubert gewandelt waren, als ihm unvermutet Nürnberger
entgegentrat. Sie begrüßten einander, lobten den schönen Tag, der so
weithinaus ins Freie lockte, und bedauerten höflich, daß man einander so
selten begegne, seit Bermann Wien verlassen hatte.
»Haben Sie schon lange nichts von ihm gehört?« fragte Georg.
»Seit er fort ist«, erwiderte Nürnberger, »habe ich nur eine Karte von ihm
erhalten. Es ist wohl anzunehmen, daß er mit Ihnen in regerer Korrespondenz
steht, als mit mir.«
»Warum ist es anzunehmen?« fragte Georg, durch Nürnbergers Ton wie
manchmal etwas geärgert.
»Nun, zum mindesten haben Sie das eine vor mir voraus, den neuern
Bekannten für ihn zu bedeuten, ihm also für seine psychologischen Interessen
ein anregenderes Problem zu bieten, als ich.«
Aus diesen mit dem üblichen Spott gebrachten Worten hörte Georg ein
gewisses Verletztsein heraus, das er übrigens begriff. Denn tatsächlich hatte
sich Heinrich in der letzten Zeit um Nürnberger, mit dem er früher sehr viel
verkehrt hatte, wenig mehr gekümmert, wie es überhaupt seine Art war,
Menschen an sich zu ziehen und mit der größten Rücksichtslosigkeit wieder
fallen zu lassen, je nachdem ihr Wesen seiner Stimmung gerade gemäß war
oder nicht.
»Ich bin trotzdem nicht viel besser dran als Sie«, sagte Georg. »Auch ich
habe schon ein paar Wochen lang keine Nachrichten von ihm bekommen.
Nach den letzten scheint es übrigens seinem Vater sehr schlecht zu gehen.«
»So wird’s jetzt wohl mit dem bedauernswerten, alten Mann bald zu Ende
sein.«
»Wer weiß. Nach dem, was mir Bermann schreibt, kann es auch noch
Monate dauern.«
Nürnberger schüttelte ernst den Kopf.
»Ja«, sagte Georg leichthin, »in solchen Fällen sollte es wirklich den
Ärzten gestattet sein… die Sache abzukürzen.«
»Da haben Sie vielleicht recht«, antwortete Nürnberger. »Aber wer weiß,
ob nicht unser Freund Heinrich, so sehr es ihn im Arbeiten und vielleicht
sogar in manchem andern stören mag, seinen Vater unrettbar hinsiechen zu
sehen, – wer weiß, ob er nicht trotzdem dem Vorschlag, diese hoffnungslose
Sache durch eine Morphiuminjektion endgültig zu erledigen, ablehnend
gegenüber stünde.«
Wieder fühlte sich Georg durch den höhnisch-bitteren Ton Nürnbergers
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik