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Der Weg ins Freie
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Anna stieg ins Kupee. Georg blieb noch eine Weile draußen stehen und amüsierte sich über die Reisenden, die eilig Aufgeregten, die vornehm Ruhigen und die, die die Ruhigen spielten, und über die verschiedenen Abarten der Begleiter: die Wehmütigen, die Heitern, die Gleichgültigen. Anna beugte sich aus dem Fenster. Georg plauderte mit ihr, tat so, als dächte er gar nicht daran abzureisen, stieg im letzten Moment ein. Der Zug fuhr ab. Auf dem Bahnsteig standen Leute – unbegreifliche Leute, die in Wien zurückblieben, und denen wieder all die andern unbegreiflich schienen, die nun ernstlich davonfuhren. Ein paar Taschentücher wehten, der Stationschef stand wichtig da und sandte dem Zug einen strengen Blick nach, ein Träger, in blau weiß gestreifter Leinenbluse hielt eine gelbe Tasche hoch und blickte gierig in jedes Fenster. Merkwürdig, dachte Georg beiläufig, es gibt Leute, die davonfahren und ihre gelben Taschen in Wien zurücklassen. Alles verschwand, Tücher, Tasche, Stationschef, Bahnhofsgebäude, das hell erleuchtete Signalhaus, die Gloriette, die flimmernden Lichter der Stadt, die kleinen, kahlen Gärten am Damm; und der Zug sauste weiter durch die Nacht. Georg wandte sich vom Fenster ab. Anna saß in der Ecke, hatte Hut und Schleier neben sich liegen; kleine, sanfte Tränen rannen ihr über die Wangen. »Aber«, sagte Georg, umschlang sie, küßte sie auf die Augen, auf den Mund. »Aber Anna«, wiederholte er noch zärtlicher und küßte sie wieder. »Was weinst du denn? Es wird ja so schön sein.« »Du hasts leicht«, sagte sie, und über ihr lächelndes Antlitz flossen die Tränen weiter. – Es wurde schön. Zuerst hielten sie sich in München auf. In den hohen Sälen der Pinakothek spazierten sie umher, standen entzückt vor alten dunkelnden Bildern, wanderten in der Glyptothek zwischen marmornen Göttern, Königen und Helden; und wenn Anna plötzlich ermüdet auf einem Diwan sich niederließ, fühlte sie Georgs zärtlichen Blick über ihrem Scheitel. Sie fuhren durch den englischen Garten, in breiten Alleen, unter noch entlaubten Bäumen, eng aneinander geschmiegt, jung und glücklich, und glaubten gern, daß die Menschen sie für Hochzeitsreisende hielten. Und sie hatten ihre Plätze nebeneinander in der Oper, bei Figaro, bei den Meistersingern, bei Tristan; und es war ihnen, als webte sich aus den geliebten Klängen ein tönend durchsichtiger Schleier um sie allein, der sie von allen andern Zuhörern abschied. Und sie saßen, von niemandem gekannt, an hübsch gedeckten Gasthaustischen, aßen, tranken und plauderten wohlgelaunt. Und durch Gassen, die den wunderbaren Hauch der Fremde hatten, wandelten sie heim, wo im gemeinsamen Zimmer die milde Nacht ihrer wartete, schlummerten beruhigt Wange an Wange ein, und wenn sie erwachten, lächelte vor dem Fenster ein freundlicher Tag, mit dem sie schalten durften 150
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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