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lustiger Gesellschaft im Klosterneuburger Stiftskeller gesessen bin, in dem
großen Garten, mit dem Blick auf die Berge und zu den Auen. Wie aus den
Tiefen des Wassers kommt sie emporgestiegen, die Einsamkeit, die ja
offenbar überhaupt etwas ganz anderes vorstellt, als man gewöhnlich meint.
Keineswegs einen Gegensatz zur Geselligkeit. Ja vielleicht hat man nur unter
Menschen das Recht, sich einsam zu fühlen. Nehmen Sie das als aphoristisch,
lächerlich-unwahres Extrablättchen, oder legen Sie es auch als solches
beiseite. Um wieder auf meine Donauuferfahrt zu kommen, – gerade in jener
etwas schwülen Abendstunde sind mir allerlei gute Einfälle gekommen, und
ich hoffe Ihnen bald manches Sonderbare über Ägidius erzählen zu können,
wie der mordlustige und traurige Jüngling nun endgültig benannt ist, über den
tiefsinnig-undurchdringlichen Fürsten, über den lächerlichen Herzog
Heliodor, unter welchem Namen ich Ihnen den Bräutigam der Prinzessin
vorzustellen die Ehre habe, und ganz besonders über die Prinzessin selbst, die
ein viel merkwürdigeres Geschöpf zu sein scheint, als ich anfangs vermutet
habe.«
»Das bezieht sich auf den Operntext?« fragte Anna und ließ ihre Arbeit
sinken.
»Natürlich«, antwortete Georg und las weiter.
»Sie sollen auch gleich erfahren, mein Lieber, daß ich in den letzten
Wochen einige vorläufig nicht besonders unsterbliche Verse zum ersten Akt
verfertigt habe, die nun bis auf weiteres, ohne Ihre Musik nämlich, in der Welt
herumhüpfen, wie ungeflügelte Engel. Der Stoff reizt mich in seltsamer
Weise. Und ich bin schon selber neugierig, worauf ich eigentlich mit ihm
hinaus will. Auch allerlei anderes hab ich begonnen… entworfen… bedacht.
Und, kurz und frech gesagt, es ist mir, als kündigte sich eine neue Epoche in
mir an. Doch das klingt frecher, als es ist. Denn auch Rauchfangkehrer,
Salamutschimänner und Feldwebel haben ihre Epochen. Unsereiner weiß es
nur immer gleich. Was ich für sehr wahrscheinlich halte, ist, daß ich aus dem
phantastischen Element, in dem ich mich jetzt behage, sehr bald in ein höchst
reales hinab oder hinauf steigen dürfte. Was würden Sie zum Beispiel dazu
sagen, wenn ich mich in eine politische Komödie einließe? Und schon fühl
ich, daß das Wort von der Realität nicht völlig stimmt. Denn mir scheint,
Politik ist das phantastischeste Element, in dem Menschen sich überhaupt
bewegen können, nur, daß sie es nicht merken… Hier wäre die Sache
vielleicht anzupacken. Dies fiel mir ein, als ich neulich einer politischen
Versammlung anwohnte, (unwahr, diese Gedanken kommen mir soeben),
jawohl – einer Versammlung von Arbeitern und Arbeiterinnen in der
Brigittenau, in die ich mich an der Seite von Mademoiselle Therese Golowski
verfügt hatte und in der ich sieben Reden über das allgemeine Wahlrecht
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik