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Der Weg ins Freie
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Wissen von einem Zustand, in dem wir Juden uns befinden, und viel eher als von Verfolgungswahnsinn könnte man von einem Wahn des Geborgenseins, des Inruhegelassenwerdens reden, von einem Sicherheitswahn, der vielleicht eine minder auffallende, aber für den Befallenen viel gefährlichere Krankheitsform vorstellt. Mein Vater hat an ihr gelitten, wie viele andre seiner Generation. Er ist allerdings so gründlich kuriert worden, daß er darüber verrückt geworden ist.« Tiefe Falten erschienen auf Heinrichs Stirn, und er sah wieder zur Wand hin, über Georg weg, der auf dem harten, schwarzledernen Divan Platz genommen hatte. »Wenn das Ihre Auffassung ist«, erwiderte Georg – »ja, dann müßten Sie sich doch logischerweise Leo Golowski anschließen… « »Und mit ihm nach Palästina wandern – finden Sie? Politisch- symbolischerweise oder gar in Wirklichkeit – wie?« Er lachte. »Hab ich denn behauptet, daß ich von hier fort will? Daß ich irgendwo anders lieber leben möchte als hier? Insbesondere, daß ich unter lauter Juden existieren möchte? Das wäre, für mich wenigstens, eine recht äußerliche Lösung einer höchst innerlichen Angelegenheit.« »Das denk ich mir eigentlich auch. Und darum verstehe ich, die Wahrheit zu sagen, immer weniger, was Sie wollen, Heinrich. Im vorigen Herbst auf der Sophienalpe, wie Sie sich mit Golowski herumgezankt haben, da hatte ich doch den Eindruck, daß Sie die Sache viel hoffnungsvoller ansähen?« »Hoffnungsvoller?« wiederholte Heinrich beleidigt. »Ja. Da mußte man doch denken, daß Sie an die Möglichkeit einer allmählichen Assimilation glauben.« Heinrich zuckte verächtlich die Mundwinkel. »Assimilation… Ein Wort… Ja, sie wird wohl kommen, irgendeinmal… In sehr, sehr langer Zeit. Sie wird ja nicht so kommen, wie manche sie wünschen – nicht so, wie manche sie fürchten… es wird auch nicht gerade Assimilation sein… aber vielleicht etwas, das sozusagen im Herzen dieses Wortes schlägt. Wissen Sie, was sich wahrscheinlich am Ende herausstellen wird? Daß wir, wir Juden, mein ich, gewissermaßen ein Menschheitsferment gewesen sind – ja, das wird vielleicht herauskommen in tausend bis zweitausend Jahren. Auch ein Trost, denken Sie sich!« Er lachte wieder. »Wer weiß«, sagte Georg nachsichtig, »ob Sie nicht recht behalten werden – in tausend Jahren. Aber bis dahin?« »Ja, früher, lieber Georg, wird es wohl mit der Lösung der Frage nichts werden. Für unsere Zeit gibt es keine Lösung, das steht einmal fest. Keine 189
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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