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Der Weg ins Freie
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»Warum sind Sie so hart?« fragte Georg und dachte an das Riesenkuvert mit den grauen Siegeln und der albernen Aufschrift. »Sie habens eigentlich nicht nötig. Es ist ja doch nur ein Zufall, daß sie nicht auch anonyme Briefe bekommen hat, geradeso wie Sie, Heinrich. Und wer weiß, wenn Sie sie nicht allein gelassen hätten, aus weiß Gott was für Gründen… « Heinrich schüttelte den Kopf und sah Georg beinahe mitleidig an. »Meinen Sie vielleicht, ich habe die Absicht zu strafen oder zu rächen? Oder glauben Sie, ich gehöre zu den Tröpfen, die an der Welt irrewerden, weil ihnen etwas passiert ist, wovon sie doch wissen, daß es schon Tausenden passiert ist vor ihnen und Tausenden nach ihnen passieren wird? Meinen Sie, ich verachte die »Ungetreue«, oder ich hasse sie? Fällt mir gar nicht ein. Womit ich nicht sagen will, daß ich nicht zuweilen die Gebärde des Hasses und der Verachtung habe, natürlich nur, um bessere Wirkungen zu erzielen ihr gegenüber. Aber in Wahrheit versteh ich ja alles, was geschehen ist, viel zu gut, als daß ich… « Er zuckte die Achseln. »Nun, wenn Sie es verstehen »Aber lieber Freund, das Verstehen hilft ja gar nichts. Das Verstehen ist ein Sport wie ein anderer. Ein sehr vornehmer Sport und ein sehr kostspieliger. Man kann seine ganze Seele darauf verschwenden und als ein armer Teufel dastehen. Aber mit unsern Gefühlen hat das Verstehen nicht das allergeringste zu tun – beinahe so wenig wie mit unsern Handlungen. Es schützt uns nicht vor Leid, nicht vor Ekel, nicht vor Vernichtung. Es führt gar nirgends hin. Es ist eine Sackgasse gewissermaßen. Das Verstehen bedeutet immer ein Ende.« Auf einem Seitenpfad in mäßiger Steigung, schweigend und langsam, jeder mit seinen eigenen Gedanken, so kamen sie aus der Waldung auf offenes Wiesenland, das den Blick talwärts freigab. Sie blickten über die Stadt hin, und weiter gegen die dunstatmende Ebene, durch die schimmernd der Fluß rann; zu fernen Berglinien, vor denen dünner Rauch sich hinbreitete. Dann, im Frieden der Abendsonne spazierten sie weiter zu Georgs Lieblingsbank am Waldesrande. Die Sonne war fort. Georg sah jenseits des Tales, längs des waldigen Hügels den Sommerhaidenweg ziehen, blaß und wie ausgekühlt. Dann schaute er hinab, wußte, daß in dem Garten zu seinen Füßen ein Birnbaum stand, unter dem er vor wenig Stunden mit einer sehr Geliebten gesessen war, die sein Kind unter dem Herzen trug, und war bewegt. Für die Frauen, die vielleicht anderswo seiner warteten, spürte er eine leise Verachtung, doch war seine Sehnsucht nach ihnen darum nicht ausgelöscht. Unten auf dem Pfad zwischen Gärten und Wiesen wandelten Sommergäste. Ein junges Mädchen blickte herauf, flüsterte einer andern etwas zu. »Sie sind wohl eine populäre Persönlichkeit hier in dem Ort«, bemerkte Heinrich mit spöttisch verzogenen Mundwinkeln. 198
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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