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geschehen, wirkliche Sympathie gefaßt. Und auch der alte Ehrenberg, der
seither immer draußen in Neuhaus lebte, nur mehr für seine Arbeit, und
keinen Menschen sehen wollte, tat ihm leid. Sie hatten beide gebüßt, schwerer
als sie es verdient hatten. Vermochte Heinrich das nicht geradesogut
einzusehen und zu fühlen wie er? Sie machten einen wirklich manchmal
nervös, diese jüdisch-überklugen schonungslos-menschenkennerischen Leute,
diese Bermann und Nürnberger. Daß man sich nur ja von nichts überraschen
ließ, das blieb ihnen die Hauptsache. Güte, die war es, die ihnen fehlte. Erst
wenn sie älter wurden, kam eine gewisse Milde über sie. Georg dachte an den
alten Doktor Stauber, Frau Golowski, an den alten Eißler. Aber so lang sie
jung waren… immer hielten sie sich auf dem qui vive. Nur ja nicht die
Dümmern sein! Eine unbequeme Gesellschaft. Sehnsucht nach Felician, nach
Skelton regte sich in ihm, die doch wahrhaftig auch gerade gescheit genug
waren; – sogar nach Guido Schönstein.
»Bei aller Melancholie aber«, sagte Heinrich nach einiger Zeit, »scheint
sich Fräulein Else ganz leidlich zu amüsieren. Es gibt auch schon wieder
Besuch auf dem Auhof. Neulich waren die Wyners dort, Sissy und James.
James ist in Cambridge Doktor geworden. Nobel, was?«
Der Name Sissy zuckte an Georgs Herzen vorbei, wie ein glitzernder
Dolch. Er wußte es plötzlich, in wenig Tagen würde er bei ihr sein. Seine
Sehnsucht schwoll so mächtig auf, daß er es selbst kaum begriff.
Die Dämmerung sank. Georg und Heinrich erhoben sich, gingen die Wiese
hinab und traten in den Garten. Da sahen sie Anna in Begleitung eines Herren
den mittleren Weg heraufkommen.
»Der alte Doktor Stauber«, sagte Georg, »Sie kennen ihn wohl?« Man
begrüßte einander. »Ich freue mich sehr«, sagte Anna zu Heinrich, »daß ich
Sie endlich einmal bei uns sehe.«
Bei uns, wiederholte Georg innerlich mit einem Befremden, das er gleich
wieder zurücknahm. Er ging mit Doktor Stauber voraus. Heinrich und Anna
folgten langsam.
»Wie sind Sie mit Anna zufrieden?« fragte Georg den Doktor.
»Es kann nicht besser gehen«, erwiderte Stauber. »Sie soll nur weiter
regelmäßig und fleißig Bewegung machen.«
Georg fiel es ein, daß er dem Doktor, den er seit seiner Rückkehr zum
erstenmal sah, die entliehenen Bücher noch nicht zurückgegeben hatte, und er
brachte seine Entschuldigung vor.
»Aber das hat ja Zeit«, erwiderte Stauber. »Wenn sie Ihnen nur zustatten
gekommen sind.« Und er fragte ihn nach den Eindrücken, die er aus Rom mit
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik