Page - 206 - in Der Weg ins Freie
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Heinrich stand plötzlich im Garten draußen vor der Veranda, griff über die
Brüstung, nahm seinen Mantel vom Sessel und schlug ihn romantisch um
sich. »Ich beginne«, sagte er. »Erster Akt.«
»Vorher Ouverture in D-moll«, unterbrach ihn Georg. Er pfiff eine
getragene Melodie, nur ein paar Töne, und schloß mit einem »und so weiter«.
»Der Vorhang hebt sich«, sagte Heinrich. »Fest im königlichen Garten.
Nacht. Am nächsten Tag soll die Prinzessin mit dem Herzog Heliodor
vermählt werden. Vorläufig nenn ich ihn Heliodor, er wird wahrscheinlich
anders heißen. Der König betet seine Tochter an und kann Heliodor, der eine
Art von zäsarenwahnsinnigem Gecken vorstellt, nicht ausstehen. Zu diesem
Fest, das der König hauptsächlich gibt, um Heliodor zu ärgern, sind nicht nur
die Edeln des Landes geladen, sondern die Jugend aller Stände, soweit sie
sich durch Schönheit ein Recht dazu erworben hat. Und die Prinzessin soll an
diesem Abend mit jedem tanzen dürfen, der ihr gefällt. Da ist besonders einer,
Ägidius mit Namen, von dem sie ganz hingerissen scheint. Und niemand freut
sich mehr darüber als der König. Eifersucht Heliodors. Steigendes Vergnügen
auf Seite des Königs. Auseinandersetzung zwischen Heliodor und dem König.
Hohn, Verfeindung. Nun geschieht etwas höchst Unerwartetes. Ägidius zückt
den Dolch gegen den König, er will ihn ermorden. Dieser Mordversuch müßte
natürlich sehr sorgfältig motiviert werden, wenn Sie nicht die Güte hätten,
lieber Georg, die Sache in Musik zu setzen. So wird es genügen, anzudeuten,
daß der Jüngling ein Tyrannenhasser, Mitglied einer geheimen Verbindung,
vielleicht ein Narr oder Held auf eigne Faust ist. Das weiß ich nämlich noch
nicht. Der Mordversuch mißlingt. Ägidius wird festgenommen. Der König
wünscht mit ihm allein zu bleiben. Duett. Der Jüngling ist stolz, gefaßt, groß,
der König überlegen, grausam, unergründlich. So ungefähr stell ich mir ihn
vor: Er hat schon viele in den Tod geschickt, schon viele sterben sehen, aber
ihm, in seiner ungeheuern innern Wachheit, scheinen alle übrigen Menschen
in einem Zustand halber Bewußtheit dahinzuleben, so daß ihr Dahingehen
gewissermaßen nichts anderes zu bedeuten hat als einen Schritt aus
Dämmerung in Finsternis. Ein solcher Untergang scheint ihm hier zu mild
oder zu banal. Diesen Jüngling will er aus einem Tag, wie ihn noch kein
Sterblicher genossen, ins furchtbarste Dunkel stürzen. Ja, das geht in ihm vor.
Wieviel er davon ausspricht oder singt, das weiß ich natürlich noch nicht.
Ägidius, als ein nach aller Meinung zu sofortigem Tod Bestimmter, wird
abgeführt, und zwar auf dasselbe Schiff, auf dem am Abend darauf Heliodor
mit der Prinzessin ihre Reise hätten antreten sollen. Der Vorhang fällt. Der
zweite Akt spielt auf dem Verdeck. Das Schiff in voller Fahrt. Chor. Einzelne
Gestalten heben sich heraus. Ihre Bedeutung tritt erst später zutage.
Morgendämmerung. Ägidius wird aus dem untern Schiffsraum heraufgeleitet.
Wie er natürlich glauben muß, zum Tode. Aber es kommt anders. Seine
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik