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Der Weg ins Freie
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Der Zug setzte sich eben wieder in Bewegung. Vor dem geschlossenen Kupeefenster leuchteten zwei rote Laternen auf. Dann rann still und schwarz die Nacht vorbei. Georg zog seinen Reiseplaid fester um sich und starrte auf die grün verhängte Lampe an der Decke. Ach wie gut, dachte er, daß ich allein im Kupee bin, so hab ich doch mindestens vier oder fünf Stunden fest geschlafen. Was war das für ein seltsam wirrer Traum? Die weißen Möven fielen ihm zuerst wieder ein. Ob die irgend etwas zu bedeuten hatten? Dann dachte er an die alte Frau mit der Mantille, die eigentlich niemand anders war, als Frau Oberberger. Sie würde sich nicht sonderlich geschmeichelt fühlen. Aber hatte sie nicht wirklich ausgesehen wie eine ganz alte Dame, als er sie vor ein paar Tagen an der Seite ihres leuchtenden Gemahls in der Loge des kleinen, weiß-roten Kurtheaters erblickt hatte? Und auch Labinski war ihm im Traum erschienen, als Steuermann, sonderbarerweise. Und auch die Mädchen in blauen Kleidern, die vom Hotelgarten aus durchs Fenster ins Klavierzimmer hineingeblickt hatten, sobald sie ihn spielen hörten. Aber was war denn nur das Gespenstische in diesem Traum gewesen? Nicht die blauen Mädchen, auch Labinski nicht und nicht der Prinz von Guastalla, der zu Rad übers Verdeck gerast war. Nein, seine eigene Gestalt war ihm so gespenstisch erschienen, wie sie zu beiden Seiten neben ihm in den langgedehnten, schiefen Spiegeln, hundertmal vervielfacht einhergeschlichen war. Es begann ihn zu frösteln. Durch den Luftspalt oben drang kühle Nachtluft ins Kupee herein. Die tiefschwarze Finsternis draußen wandelte sich allmählich in schweres Grau, und plötzlich klangen Georg Worte im Ohr, die er vor wenigen Stunden erst von einer dunkeln Frauenstimme gehört hatte, klangen flüsternd und weh: Wie bald wirst du mich vergessen haben… Er wollte die Worte nicht hören. Er wollte, sie wären schon wahr geworden, und wie verzweifelt stürzte er sich zurück in die Erinnerung seines Traums. Es war ihm ganz klar, daß der Dampfer, auf dem er die Konzertreise nach Amerika unternommen, eigentlich das Schiff bedeutet hatte, auf dem Ägidius seinem düstern Schicksal entgegenfuhr. Und der Kiosk mit der Musikkapelle war die Halle gewesen, wo den Ägidius der Tod erwartete. Wundervoll hatte der Sternenhimmel sich über das Meer gebreitet. Die Luft war so blau und die Sterne so silbern gewesen, wie er sie im Wachen niemals gesehen, nicht einmal in der Nacht, da er mit Grace von Palermo nach Neapel gereist war. Plötzlich wieder, flüsternd und weh, klang durch das Dunkel die Stimme der geliebten Frau: Wie bald wirst du mich vergessen haben… Und nun sah er sie selbst vor sich, wie er sie vor wenig Stunden erst gesehen, das dunkle Haar über die Polster fließend, bleich und nackt. Er wollte nicht dran denken, beschwor andre Bilder aus den Tiefen seiner Erinnerung hervor, jagte sie mit Willen an sich vorbei… Er sah sich auf einem Friedhof umhergehen in 213
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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