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Der Weg ins Freie
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Sache. Der Schrei drinnen war verklungen, und nur Stöhnen war vernehmbar. »Und die Herztöne?« fragte Georg. Doktor Stauber sah an Georg vorbei. »Vor zehn Minuten waren sie noch deutlich zu hören.« Georg wehrte sich gegen einen furchtbaren Gedanken, der aus den Tiefen seiner Seele hervorgejagt kam. Er war gesund, sie war gesund, zwei junge kräftige Menschen… konnte so etwas denn möglich sein? Doktor Stauber legte ihm nochmals die Hand auf die Schulter. »Gehen Sie doch spazieren«, sagte er, »wir rufen Sie schon, wenn’s Zeit ist.« Und er wandte sich ab. Georg blieb noch einen Augenblick auf der Veranda stehen. In dem großen Zimmer, das in Spätnachmittagsdämmer zu versinken begann, an der Wand auf dem Sofa, ganz in sich zusammengesunken, sah er Frau Rosner sitzen. Er entfernte sich, spazierte rund um das Haus herum und begab sich dann über die Holzstiege in seine Mansarde. Er warf sich aufs Bett, schloß die Augen; nach ein paar Minuten stand er auf, ging im Zimmer hin und her, gab es aber wieder auf, da der Boden krachte. Er trat auf den Balkon. Auf dem Tisch lag die Partitur des »Tristan« aufgeschlagen. Georg blickte in die Noten. Es war das Vorspiel zum dritten Akt. Die Klänge tönten ihm im Ohr. Meereswellen schlugen dumpf an ein Felsenufer, und aus trauriger Ferne klang die wehe Melodie des englischen Horns. Er sah über die Blätter weg in den silberweißen Glanz des Tages. Sonne lag überall, über Dächern, Wegen, Gärten, Hügeln und Wäldern. Dunkelblau breitete der Himmel sich hin, und Ernteduft stieg aus den Tiefen. Wie stand es heute vor einem Jahr mit mir? dachte Georg. Ich war in Wien, ganz allein. Ich ahnte noch nichts. Ich hatte ihr ein Lied geschickt… »Deinem Blick mich zu bequemen… « Aber ich dachte kaum an sie… Und jetzt liegt sie da unten und stirbt… Er erschrak heftig. Er hatte denken wollen… sie liegt in Wehen, und auf die Lippen gleichsam hatte es sich ihm gestohlen: sie stirbt. Aber warum war er denn erschrocken? Wie kindisch. Als gäb es Ahnungen solcher Art! Und wenn wirklich Gefahr da wäre und die Ärzte sich entscheiden müßten, so hatten sie natürlich vor allem die Mutter zu retten. Darüber hatte ihn ja Doktor Stauber vor wenigen Tagen erst aufgeklärt. Was ist denn ein Kind, das noch nicht gelebt hat? Nichts. In irgend einem Augenblicke hatte er es gezeugt, ohne es gewünscht, ohne nur an die Möglichkeit gedacht zu haben, daß er Vater geworden sein könnte. Wußte er denn, ob er es nicht vielleicht auch vor wenigen Wochen geworden war, in jener dunkeln Wonnestunde, hinter geschlossenen Läden… auch damals Vater, ohne es gewollt, ohne nur an die Möglichkeit gedacht zu haben; und vielleicht, wenn es geschehen war, ohne es jemals zu erfahren? Er hörte Stimmen, sah hinunter; der Kutscher des Professors hatte ein 225
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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