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Der Weg ins Freie
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die da drüben im Garten lachten, die durften leben. Durften? Nein, sie mußten leben, so wie das seine hatte sterben müssen nach dem ersten Atemzug, bestimmt von einer Dunkelheit durch ein sinnloses Nichts hindurch einzugehen in eine andere. Draußen war die Dämmerung, und im Zimmer war es beinahe schon Nacht. Anna lag still und regungslos. Ihre Hand in der Georgs rührte sich nicht. Aber als Georg sich erhob, sah er, daß ihre Augen offen waren. Er beugte sich nieder, zögerte einen Augenblick, dann legte er den Arm um ihren Hals und küßte sie auf die Lippen, die heiß und trocken waren und seine Berührung nicht erwiderten. Dann ging er. Im Nebenzimmer brannte die Hängelampe über dem Tisch, auf dem früher das tote Kind gelegen hatte. Nun war die grüne Tischdecke ausgebreitet, als wäre nichts geschehen. Die Türe zu dem Zimmer, in dem Frau Golowski wohnte, war geöffnet. Das Licht einer Kerze schimmerte herein, und Georg wußte, daß da sein Kind den ersten und letzten Schlummer schlief. Frau Golowski und Frau Rosner saßen nebeneinander auf dem Sofa an der Wand, stumm, wie zusammengekauert. Georg trat zu ihnen. »Der Herr Gemahl ist schon fort?« wandte er sich an Frau Rosner. »Ja, er ist mit den Herren Doktoren in die Stadt hineingefahren«, erwiderte sie und sah ihn wie fragend an. »Sie ist ruhig«, beantwortete Georg ihren Blick. »Ich denke, sie wird fest schlafen.« »Wollen Sie nicht etwas zu sich nehmen?« fragte Frau Golowski. »Seit ein Uhr haben Sie… « »Danke nein. Ich fahre jetzt in die Stadt. Ich möchte meinen Bruder sprechen. Auch erwarte ich Briefe von Wichtigkeit. Morgen früh bin ich wieder da.« Er verabschiedete sich, ging in seine Mansarde, holte die Tristanpartitur vom Balkon ins Zimmer herein, nahm Überzieher und Stock, zündete sich eine Zigarette an und verließ das Haus. Er fühlte sich freier, sobald er auf der Straße war. Eine ungeheure Aufregung lag hinter ihm. Es war in unglücklicher Weise vorüber, aber vorüber war es doch. Und mit Anna mußte es ja gut ablaufen. Freilich da gab es wohl auch den verhängnisvollen Prozentsatz. Aber es war klar, daß nun die Möglichkeit eines schlimmen Ausgangs, gerade nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeitsrechnung viel geringer sein mußte, als wenn das Kind am Leben geblieben wäre. Mit raschen Schritten durchmaß er die langgestreckte Ortschaft, wollte nichts denken und betrachtete mit absichtlicher Aufmerksamkeit jedes einzelne Haus, an dem er vorbeikam. Sie waren alle niedrig, die meisten recht trübselig und arm. Hinter ihnen, im Abenddunst, stiegen kleine Gärtchen an 235
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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