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Der Weg ins Freie
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das gleiche Geräusch der Stadt, der gleiche Duft des Parks zu ihm hereingeströmt war wie heute. Das Jahr, das seither verflossen war, dehnte sich in seinem müden Sinn zu Ewigkeiten, wurde dann wieder zu einer kurzen Spanne Zeit, und in seiner Seele raunte irgend etwas: wozu… wozu. Sein Kind war tot. Draußen am Sommerhaidenweg auf dem Friedhof wird es begraben sein, dort wird es ausruhen in geweihter Erde von dem mühevollen Weg, der ihm zu gehen bestimmt war, von einer Dunkelheit durch ein sinnloses Nichts in die andere. Unter einem kleinen Kreuze wird es liegen, als hätte es ein Menschenlos durchlebt und durchlitten… Als hätte es gelebt? Es hatte ja wirklich gelebt, von dem Augenblick an, da sein Herz im Leib der Mutter zu klopfen angefangen. Nein, früher schon… von dem Augenblick an, da seiner Mutter Leib es empfangen, hatte es dem Reich des Lebendigen zugehört. Und Georg dachte daran, wievielen Menschenkindern es bestimmt war, noch viel früher wieder dahinzugehen als dem seinen, wie viele, gewünschte und ungewünschte, in den ersten Tagen ihres Lebens sterben, ohne daß die eigenen Mütter es nur ahnen. Und während er so vor seinem Schreibtisch mit geschlossenen Augen hindämmerte, zwischen Schlafen und Wachen, sah er lauter schimmernde Kreuze ragen auf winzigen Hügeln, als wär es ein Friedhof aus einer Spielereischachtel, und eine rötlich-gelbe Puppensonne glänzte darüber hin. Mit einmal aber bedeutete dies Bild den Friedhof von Cadenabbia. Georg saß wie ein kleiner Knabe auf der steinernen Umfassungsmauer und wandte plötzlich den Blick zur See hinab. Da trieb in einem sehr langen, schmalen Kahn unter schwefelgelben Segeln, mit einem grünen Schal um die Schultern, bewegungslos auf der Ruderbank sitzend, eine Frau, deren Antlitz zu erkennen er sich vergeblich und beinahe schmerzlich bemühte. Die Klingel tönte. Georg fuhr auf. Was war das? Ach ja, es war niemand da, um aufzuschließen. Der Diener war seit erstem entlassen, und die Portiersfrau, die jetzt die Brüder bediente, war um diese Zeit nicht in der Wohnung. Georg ging ins Vorzimmer und öffnete. Heinrich Bermann stand auf dem Flur. »Ich sah von unten Licht in Ihrem Zimmer«, sagte er. »Es war ein guter Einfall von mir, zuerst an Ihrem Haus vorüber zu gehen. Eigentlich wollte ich zu Ihnen aufs Land hinausfahren.« Spricht er wirklich so erregt, dachte Georg, oder klingt es mir nur so? Er bat ihn einzutreten und Platz zu nehmen. »Danke, danke, ich gehe lieber auf und ab. Nein, schalten Sie die obere Flamme nicht ein, die Schreibtischlampe genügt. – Im übrigen – wie geht es bei Ihnen draußen?« »Heute Nachmittag ist das Kind zur Welt gekommen«, erwiderte Georg ruhig. »Aber leider war es tot.« 237
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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