Page - 239 - in Der Weg ins Freie
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Heinrich hob abwehrend die Hand. »Ich habe es ja auch niemals ernst
genommen. Heute Morgen aber kam ein Brief, der, wie soll ich nur sagen,
einen unheimlichen Klang von Wahrheit hatte. Es steht eigentlich auch nichts
anderes drin, als was sie mir schon zehn- oder zwanzigmal geschrieben hat,
aber der Ton… der Ton… kurz und gut, ich bin so gut wie überzeugt, daß es
diesmal geschehen ist. Daß es vielleicht in diesem Augenblick schon… «, er
hielt inne und starrte vor sich hin.
»Nein Heinrich.« Georg trat zu ihm hin und legte ihm die Hand auf die
Schulter. »Nein«, fügte er kräftiger hinzu, »ich glaube es absolut nicht. Ich
habe sie ja gesprochen, vor ein paar Wochen erst. Sie wissen ja. Und da hatte
ich durchaus nicht den Eindruck… Ich habe sie auch Komödie spielen
gesehen… wenn Sie sie spielen gesehen hätten, in dieser frechen Posse, so
wĂĽrden Sie auch nicht daran glauben, Heinrich! Sie will sich nur an Ihnen
rächen, für Ihre Grausamkeit. Unbewußt vielleicht. Sie ist ja wahrscheinlich
selbst manchmal davon ĂĽberzeugt, daĂź sie nicht weiter leben kann, aber da sie
es bis heute ausgehalten… Ja wenn sie es gleich getan hätte… «
Heinrich schüttelte ungeduldig den Kopf. »Hören Sie, Georg, ich habe an
das Sommertheater telegraphiert. Ich habe angefragt, ob sie noch dort ist,
etwa so, als wenn es sich um eine Rolle fĂĽr sie handelte, ProbeauffĂĽhrung
eines neuen Stücks von mir, oder dergleichen. Ich habe zu Hause gewartet –
bis jetzt… aber es ist noch keine Antwort da. Kommt keine, oder keine
genügende, so werde ich auf alle Fälle hinfahren.«
»Ja warum haben Sie nicht einfach angefragt, ob sie… «
»Ob sie sich umgebracht hat? Man will sich doch nicht blamieren, Georg!
Da hätt ich mich ja ungefähr jeden dritten Tag erkundigen können… Das
hätte allerdings eines gewissen grotesken Humors nicht entbehrt.«
»Nun sehen Sie, Sie glauben ja selbst nicht dran.«
»Ich will jetzt nach Hause, schauen, ob ein Telegramm da ist. Adieu Georg.
Verzeihen Sie mir. Ich hab es nämlich daheim nicht mehr ausgehalten… Es
tut mir wirklich sehr leid, daĂź ich Sie in einer solchen Stunde mit meinen
Angelegenheiten belästigt habe. Nochmals, verzeihen Sie… «
»Sie wußten ja nicht… Und auch wenn Sie gewußt hätten… Bei mir ist es
ja doch… sozusagen eine abgeschlossene Geschichte. In meiner
Angelegenheit ist leider absolut nichts mehr zu tun.« Er blickte angestrengt
zum Fenster hinaus, über die Wipfel der Bäume, zu den dunkeln Türmen und
Dächern, die aus dem matt rötlichen Glanz der abendlichen Stadt
emporstiegen. Dann sagte er: »Ich begleite Sie, Heinrich. Ich kann ja zu
Hause doch nichts anfangen. Das heißt – wenn Ihnen meine Gesellschaft
nicht unangenehm ist.«
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik