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»Unangenehm?… Georg!… « Er drückte ihm die Hand.
Sie gingen. Anfangs spazierten sie längs des Parks und schwiegen. Georg
erinnerte sich seines Spazierganges mit Heinrich durch die Praterallee, im
vorigen Herbst, und gleich darauf kam ihm der Maienabend ins Gedächtnis,
an dem Anna Rosner im Waldsteingarten erschienen war, später als die
andern, und Frau Ehrenberg ihm zugeflüstert hatte: »Die hab ich für Sie
eingeladen.« Ja für ihn! Wäre jener Abend nicht gewesen, so wäre Anna nicht
seine Geliebte geworden und nichts von allem, woran er heute trug, wäre
geschehen. Oder war auch hier irgendein Gesetz am Werke? Gewiß! Es
müssen wohl jedes Jahr so und so viel Kinder zur Welt kommen, und eine
Anzahl darunter außer der Ehe. Und die gute Frau Ehrenberg hatte sich
eingebildet, daß es in ihrem Belieben gestanden, Fräulein Anna Rosner
einzuladen für den Freiherrn von Wergenthin!
»Anna befindet sich doch außer Gefahr?« fragte Heinrich.
»Ich hoffe«, erwiderte Georg. Dann sprach er von den Schmerzen, die sie
gelitten, von ihrer Geduld und ihrer Güte. Er hatte das Bedürfnis, sie als
vollkommenen Engel darzustellen; als könnte er damit etwas sühnen, was er
gegen sie verschuldet hätte.
Heinrich nickte. »Sie scheint wirklich eine von den wenigen Frauen, die
zur Mutterschaft bestimmt sind. Es ist nämlich nicht wahr, daß es viele von
der Art gibt. Kinder zu kriegen – dazu sind sie ja alle da, – aber Mütter zu
sein! Und gerade sie mußte das erleiden! Es ist mir eigentlich nie in den Sinn
gekommen, daß so etwas eintreten könnte.«
Georg zuckte die Achseln. Dann sagte er: »Ich hatte erwartet, Sie noch
einmal draußen zu sehen. Ich glaube, Sie versprachen mir sogar etwas
dergleichen, als Sie vor acht Tagen mit Therese zusammen bei uns
nachtmahlten.«
»Ach ja, wie wir uns so furchtbar gezankt haben, Therese und ich. Auf dem
Heimweg ist es noch ärger geworden. Zum lachen. Wir gingen nämlich zu
Fuß bis in die Stadt. Die Leute, die uns begegneten, müssen uns unbedingt für
ein Liebespaar gehalten haben, so fürchterlich haben wir uns gestritten.«
»Und wer hat am Ende recht behalten?«
»Recht? Kommt das jemals vor, daß einer recht behält? Man diskutiert
doch nur, um sich selbst, und nie um den andern zu überzeugen. Denken Sie
nur, wenn Therese am Ende eingesehen hätte, daß ein vernünftiger Mensch
sich nie und nimmer einer Partei anschließen kann! Oder wenn ich ihr hätte
zugestehen müssen, daß meine Parteilosigkeit einen Mangel an
Weltanschauung bedeute, wie sie behauptete! Wir hätten uns beide sofort
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik