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Der Weg ins Freie
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»Jetzt seien Sie einmal aufrichtig«, sagte Georg. »Wenn Sie sie auf diese Weise retten könnten, würden Sie ihr auch jetzt nicht verzeihen?« »Ja Georg, merken Sie denn noch immer nicht, daß es sich gar nicht darum handelt, ob ich verzeihen will oder nicht? Denken Sie doch, ich hätte einfach aufgehört sie zu lieben, was doch gelegentlich passieren kann, auch ohne daß man ›verraten‹ worden ist. Denken Sie, eine Frau, die Sie liebt, würde Sie verfolgen, eine Frau, vor deren Berührung Ihnen aus irgendeinem Grunde graut, würde Ihnen schwören, sie bringt sich um, wenn Sie sie verschmähen. Wären Sie verpflichtet ihr nachzugehen? Könnten Sie sich den leisesten Vorwurf machen, wenn sie wirklich aus sogenannter verschmähter Liebe in den Tod ginge? Würden Sie sich als ihr Mörder fühlen? Das ist doch lauter Unsinn, nicht wahr? Also wenn Sie glauben, daß es das sogenannte Gewissen ist, das mich jetzt peinigt, so irren Sie sich. Es ist einfach die Sorge um das Schicksal eines Wesens, das mir einmal nahestand und gewissermaßen heute noch nahesteht. Die Ungewißheit… « Plötzlich blickte er starr nach einer Richtung. »Was ist Ihnen?« fragte Georg. »Sehen Sie nicht? Ein Telegraphenbote. Er kommt auf das Haustor zu.« Ehe der Mann noch klingeln konnte, war Heinrich bei ihm, und sagte ihm ein paar Worte, die Georg nicht verstehen konnte. Der Bote schien Einwendungen zu machen, Heinrich erwiderte, und Georg, der nähergetreten war, konnte es hören. »Ich habe Sie ja hier vor dem Tor erwartet, weil mich der Arzt dringend darum gebeten hat. Dieses Telegramm enthält… vielleicht… eine traurige Nachricht… und es könnte für meine Mutter der Tod sein… nun wenn Sie mir nicht glauben, so klingeln Sie doch, ich geh mit Ihnen ins Haus.« Aber schon hatte er auch die Depesche in Händen, öffnete sie hastig und las beim Licht einer Straßenlaterne. Sein Antlitz blieb völlig unbeweglich. Dann faltete er die Depesche wieder zusammen, reichte sie dem Boten hin, drückte ihm ein paar Silbermünzen in die Hand und sagte: »Sie müssen sie doch selbst drin abgeben.« Der Bote war befremdet, aber durch das Trinkgeld milde gestimmt. Heinrich klingelte und wandte sich ab. »Kommen Sie«, sagte er zu Georg. Sie gingen stumm die Straße weiter. Nach ein paar Minuten sagte Heinrich: »Es ist geschehen.« Georg erschrak heftiger, als er erwartet hätte. »Ist es möglich… « rief er aus. »Ja«, sagte Heinrich. »Im See hat sie sich ertränkt. In dem See, an dem Sie heuer im Sommer ein paar Tage gewohnt haben«, setzte er hinzu, in einem Ton, als trüge Georg nun auch irgendwie einen Teil der Verantwortung für 245
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Der Weg ins Freie
Title
Der Weg ins Freie
Author
Arthur Schnitzler
Date
1908
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
306
Keywords
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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