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Es klopfte an seine Tür. Felician trat zu ihm ins Zimmer, Hut und Stock in
der Hand. »Ich hab gar nicht gewußt, daß du heute zu Hause geschlafen hast«,
sagte er. »Grüß dich Gott. Also was gibts denn draußen neues?«
Georg hatte den Arm auf den Polster gestützt und blickte zu seinem Bruder
auf. »Es ist vorüber«, sagte er. »Ein Bub, aber tot.« Und er sah vor sich hin.
»Geh«, sagte Felician bewegt, trat auf ihn zu und legte unwillkürlich die
Hand auf des Bruders Haupt. Dann tat er Hut und Stock beiseite, setzte sich
zu ihm aufs Bett, und Georg mußte an Morgenstunden seiner Kinderjahre
denken, da er beim Erwachen manchmal seinen Vater so am Bettrand sitzen
gesehen. Er erzählte Felician, wie alles gekommen war, sprach insbesondere
von Annas Geduld und Sanftmut, aber mit einem gewissen Unbehagen fühlte
er, daß er sich ein wenig zwingen mußte, um seinen Mitteilungen den Ton von
Ernst und Gedrücktheit zu bewahren, der ihnen ziemte. Felician hörte mit
Anteil zu, erhob sich dann und ging im Zimmer auf und ab. Indes stand Georg
auf, begann Toilette zu machen und berichtete dem Bruder, wie merkwürdig
sich der weitere Verlauf des Abends gestaltet hatte; sprach von den Gängen
und Fahrten mit Heinrich Bermann, und von der eigentümlichen Art, wie sie
endlich von dem Selbstmord der Schauspielerin erfahren hatten.
»Ah, das ist die«, sagte Felician. »Es steht nämlich schon in der Zeitung.«
»Also wie ist es denn geschehen?« fragte Georg neugierig.
»Sie ist in den See hinausgefahren und hat sich vom Kahn aus ins Wasser
gleiten lassen… Na, du wirst ja lesen… Jetzt fährst du wohl gleich wieder
aufs Land hinaus?« fügte er hinzu.
»Natürlich«, erwiderte Georg. »Aber ich hab dir ja noch was zu sagen,
Felician, was dich interessieren dürfte.« Und er berichtete dem Bruder von
dem Detmolder Telegramm.
Felician schien erstaunt. »Das wird ja ernst«, rief er aus.
»Ja, es wird ernst«, wiederholte Georg.
»Du hast noch nicht geantwortet?«
»Nein, wie hätt ich können?«
»Und was gedenkst du zu tun?«
»Aufrichtig gestanden, ich weiß nicht recht. Du begreifst, daß ich nicht auf
der Stelle hinfahren kann, besonders unter diesen Umständen.«
Felician schien nachdenklich. »Mit einem kleinen Aufschub wird ja wohl
nichts verloren sein«, sagte er dann.
»Das denk ich mir auch. Vor allem muß ich wissen, wie’s draußen geht. Ich
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik