Page - 264 - in Der Weg ins Freie
Image of the Page - 264 -
Text of the Page - 264 -
aus Wien kam. Denn wenn der Name dieser Stadt vor den Leuten erklang,
merkte es Georg ihren vergnügten und etwas spöttischen Mienen an, daß,
gesetzmäßig beinahe wie die Obertöne auf den Grundton, sofort gewisse
andre Worte mitzuschwingen begannen, auch ohne daß sie ausgesprochen
wurden: Walzer . . . Kaffeehaus . . . süßes Mädel . . . Backhendel . . .
Fiaker . . . Parlamentsskandal. Georg ärgerte sich manchmal darüber und war
sich im übrigen bewußt, das möglichste zu tun, um den Ruf seiner Landsleute
in Detmold zu verbessern. Man hatte ihn berufen, weil der dritte
Kapellmeister, ein noch junger Mensch, plötzlich gestorben war, und so
mußte Georg schon am ersten Tag in dem kleinen Probesaal am Klavier sitzen
und zum Gesang begleiten. Es ging vortrefflich; er freute sich seiner
Begabung, die sicherer und stärker war, als er selbst vermutet hatte, und in der
Erinnerung war ihm, als hätte auch Anna sein Talent ein wenig unterschätzt.
Überdies war er mit seinen Kompositionen ernster beschäftigt als je. Er
arbeitete an einer Ouvertüre, die aus Motiven zu der Bermannschen Oper
entstanden war, hatte eine Violinsonate begonnen; und das Quintett, das
mythische, wie Else es einmal genannt hatte, war nahezu vollendet. Noch
diesen Winter sollte es aufgeführt werden, in einer der Kammersoireen, die
der Konzertmeister des Detmolder Orchesters leitete, ein begabter junger
Mensch, der einzige, dem Georg sich bisher in dem neuen Aufenthaltsort
persönlich etwas näher angeschlossen hatte und mit dem er im »Elefanten« zu
speisen pflegte. Noch bewohnte Georg in diesem Gasthof ein schönes
Zimmer, mit der Aussicht auf den großen, mit Linden bepflanzten Platz und
verschob es von Tag zu Tag eine Wohnung zu mieten. Es war ja doch
ungewiß, ob er im nächsten Jahr noch in Detmold sein würde, und überdies
hatte er das Gefühl, als müßte es Anna verletzen, wenn er sich, wie zu
längerem Aufenthalt, als Junggeselle häuslich einrichten wollte. Doch über
Zukunftsmöglichkeiten aller Art hatte er in seinen Briefen an sie kein Wort
geäußert, so wie sie wieder unterließ, ungeduldige oder zweifelnde Fragen an
ihn zu richten. Sie teilten einander beinahe nur Tatsächliches mit: sie schrieb
von ihrer allmählichen Wiederkehr ins alte Lebensgetriebe, er von all dem
Neuen, in das er sich erst hineinfinden mußte. Aber obwohl es so gut wie
nichts gab, das er ihr zu verschweigen hatte, so ging er doch über manches,
das leicht zu Mißverständnissen Anlaß bieten konnte, mit absichtlicher
Flüchtigkeit hinweg. Wie sollte man auch die seltsame Stimmung in Worte
fassen, die in dem halbdunkeln Zuschauerraum webte, vormittags, bei den
Proben, wenn der Geruch von Schminke, Parfüm, Kleidern, Gas, altem Holz
und neuen Farben von der Bühne ins Parkett herunterkam; – wenn Gestalten,
die man nicht gleich erkannte, in Alltagstracht oder Kostüm zwischen den
Reihen hin und her huschten, wenn irgend ein Atem einem in den Nacken
wehte, der schwül war und duftete? Oder wie sollte man einen Blick
schildern, der aus den Augen einer jungen Sängerin herniederglänzte,
264
back to the
book Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik