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»Ach so. Also am ersten Oktober war die Vorgeschichte, um bei diesem
Ausdruck zu bleiben, zu Ende; das heiĂźt, Leo Golowski hat das
Freiwilligenjahr hinter sich gehabt. Und am zweiten in der FrĂĽh hat er sich
vor die Kaserne hingestellt und ruhig gewartet, bis der Oberleutnant aus dem
Tor gekommen ist. In diesem Moment ist er auf ihn zugetreten, der
Oberleutnant greift nach seinem Säbel, Leo Golowski packt ihn aber bei der
Hand, läßt sie nicht aus, hält ihm die andere Faust vor die Stirn – und damit
war das Weitere so ziemlich gegeben. Übrigens wird auch erzählt, daß Leo
dem Oberleutnant folgende Worte ins Gesicht geschleudert haben soll… ich
weiß nicht recht, ob’s wahr ist.«
»Welche Worte?« fragte Georg neugierig.
»Gestern, Herr Oberleutnant, sind Sie mehr gewesen als ich, jetzt sind wir
vorläufig einmal gleich – aber morgen um die Zeit wird wieder einer von uns
mehr sein, als der andere.«
»Etwas talmudisch«, bemerkte Breitner.
»Das müssen Sie freilich am besten beurteilen können, Breitner«, erwiderte
Willy und erzählte weiter: »Also am nächsten Morgen in den Auen bei der
Donau war das Duell. Dreimaliger Kugelwechsel. Zwanzig Schritte ohne
Avance. Wenn resultatlos, Säbel bis zur Kampfunfähigkeit… Die ersten
Schüsse hüben und drüben fehlen, und nach dem zweiten… nach dem
zweiten ist der Golowski richtig bedeutend mehr gewesen als der
Oberleutnant – denn der war nichts, weniger als nichts; ein toter Mann.«
»Armer Teufel«, sagte Breitner.
Willy zuckte die Achseln. »Es ist halt einmal einer an den Unrechten
gekommen. Mir tut er auch leid. Aber man muß doch sagen, es stände
manches anders in Ă–sterreich, wenn alle Juden entsprechenden Falls sich so
zu benehmen wüßten wie der Leo Golowski. Leider… «
Skelton lächelte. »Sie wissen Willy, vor mir darf man nichts gegen die
Juden sagen, ich liebe sie. Und es täte mir leid, wenn man sich entscheiden
wollte die Judenfrage durch eine Reihe von Zweikämpfen zu lösen, denn
dann wĂĽrde am Ende von dieser vortrefflichen Rasse kein einziges
männliches Exemplar übrigbleiben.«
Am Ende des Gesprächs mußte Skelton zugeben, daß das Duell in
Österreich vorläufig nicht abzuschaffen wäre. Aber er erlaubte sich die Frage,
ob das gerade für das Duell und nicht vielmehr gegen Österreich spräche, da
doch manche andere Länder, er wollte aus Bescheidenheit keines nennen, seit
Jahrzehnten den Zweikampf nicht mehr kennten. Und ob er zu weit gehe,
wenn er sich gestatte, Ă–sterreich, in dem er sich ĂĽbrigens seit sechs Jahren
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik