Page - 287 - in Der Weg ins Freie
Image of the Page - 287 -
Text of the Page - 287 -
Sie ging mit Georg die Treppe hinab, sah ihn vergnügt von der Seite an.
»Wohin darf ich Sie führen?« fragte Georg.
»Nehmen Sie mich nur mit, irgendwo steig ich halt aus.« Sie stiegen ein,
der Wagen fuhr davon. Sie fragte ihn um allerlei, worauf er schon in der
Wohnung Antwort gegeben hatte, als nähme sie an, daß er jetzt, mit ihr allein,
aufrichtiger sein müßte, als vor den andern. Sie erfuhr nichts anderes, als daß
er sich in der neuen Umgebung wohl fühlte und daß seine Arbeit ihm
Befriedigung gewährte. Ob sein Erscheinen eine große Überraschung für
Anna bedeutet hätte? Nein, das nicht, er hatte sie ja verständigt. Und ob es
denn wahr sei, daß er zu Ostern wiederkommen wollte? Es sei seine
bestimmte Absicht…
Sie schien verwundert. »Wissen Sie, daß ich mir fest eingebildet hatte… «
»Was?«
»Man würde Sie niemals wiedersehen.«
Er erwiderte nichts, etwas betroffen. Dann fuhr es ihm durch den Sinn: Wär
es nicht vernünftiger gewesen… ? Er saß ganz nahe neben Therese, fühlte die
Wärme ihres Körpers wie damals in Lugano. In welchem ihrer Träume
mochte sie jetzt leben? In dem wirr-düstern der Menschheitsbeglückung, oder
in dem heiter-leichten eines neuen Liebesabenteuers? Sie sah angelegentlich
zum Fenster hinaus. Er nahm ihre Hand, die sie ihm nicht entzog, und führte
sie an die Lippen. Plötzlich wandte sie sich zu ihm und sagte harmlos: »So,
nun lassen Sie halten, hier steig ich am besten aus.«
Er ließ ihre Hand los und sah Therese an.
»Ja, lieber Georg, wohin geriete man«, sagte sie, »wenn man sich nicht…
«, sie verzog spöttisch den Mund, »für die Menschheit zu opfern hätte.
Wissen Sie, was ich mir manchmal denke… ? Vielleicht ist das alles nur eine
Flucht vor mir selbst.«
»Warum… warum fliehen Sie?«
»Leben Sie wohl, Georg.« Der Wagen hielt. Therese stieg aus, ein junger
Mann blieb stehen, starrte sie an; sie verschwand in der Menge. Ich glaube
nicht, daß sie auf dem Schafott enden wird, dachte Georg. Er fuhr in sein
Hotel, aß zu Mittag, zündete sich eine Zigarette an, kleidete sich um und
begab sich zu Ehrenbergs.
Im Speisezimmer, beim schwarzen Kaffee, mit den Damen des Hauses
waren James, Sissy, Willy Eißler und Frau Oberberger anwesend. Georg
nahm zwischen Else und Sissy Platz, trank ein Gläschen Benediktiner und
beantwortete alle Fragen, die seinem neuen Wirken galten, geduldig und mit
287
back to the
book Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik