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Kämpfe gegeben bei uns im Ausschuß. Ein Herr hat sogar demissioniert. Er
ist nämlich Solizitator in der Kanzlei vom Doktor Fuchs, dem
deutschnationalen Abgeordneten. Ja, es ist halt alles Politik.« Er zwinkerte.
Man sollte nicht glauben, daß er den Schwindel noch ernst nahm, jetzt da er
selbst in die Maschinerie des öffentlichen Lebens Einblick hatte. Mit der
kaum mehr überraschenden Bemerkung, daß er überhaupt Geschichten
erzählen könnte, empfahl er sich. Frau Rosner fand es an der Zeit, nach ihrem
Gatten zu sehen.
Georg saß Anna gegenüber, allein mit ihr an dem runden Tisch, über den
der Schein der Hängelampe floß.
»Ich danke dir für die schönen Rosen«, sagte Anna, »ich hab sie drin in
meinem Zimmer.« Sie erhob sich, und Georg folgte ihr. Er hatte ganz
vergessen, daß er ihr Blumen geschickt hatte. In einem hohen Glas, vor dem
Spiegel standen sie, dunkelrot, und spiegelten farblos dunkel sich ab. Das
Pianino war offen, Noten waren aufgeschlagen, zwei Kerzen brannten zu den
Seiten. Sonst war nur so viel Licht in dem Raum, als durch den breiten
Türspalt aus dem Nebenzimmer hereinfiel.
»Du hast gespielt, Anna?« er trat näher hin. »Die Arie der Gräfin? Auch
gesungen?«
»Ja. Versucht.«
»Geht’s?«
»Es fängt an… kommt mir vor. Na, wir werden ja sehen. Aber sag mir vor
allem, was du heut den ganzen Tag gemacht hast.«
»Gleich. Wir haben uns ja noch gar nicht begrüßt.« Er umarmte und küßte
sie.
»Lang ist’s her«, sagte sie, an ihm vorbeilächelnd.
»Also«, fragte er lebhaft, »fährst du mit mir?«
Anna zögerte. »Aber wie denkst du dir denn eigentlich die Sache, Georg?«
»Sehr einfach. Morgen nachmittag können wir fortfahren. Wahl des Ortes
bleibt dir überlassen. Reichenau, Semmering, Brühl, wohin du willst… Und
übermorgen früh würd ich dich zurückbegleiten.« Irgend was hielt ihn ab, von
dem Telegramm zu reden, das ihm volle drei Tage zur Verfügung stellte.
Anna sah vor sich hin. »Es wär ja schön«, sagte sie tonlos, »aber es wird
halt nicht möglich sein, Georg.«
»Wegen deines Vaters?«
Sie nickte.
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Der Weg ins Freie
- Title
- Der Weg ins Freie
- Author
- Arthur Schnitzler
- Date
- 1908
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 306
- Keywords
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Categories
- Weiteres Belletristik