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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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vaterländisch dachten, weil wir beide fremden Werken mit Hingebung und ohne jeden äußeren Vorteil zu dienen liebten und weil wir geistige Unabhängigkeit als das primum und ultimum des Lebens werteten. In ihm lernte ich zum erstenmal jenes »unterirdische« Frankreich kennen; als ich später las, wie bei Rolland Olivier dem deutschen Johann Christoph entgegentritt, glaubte ich beinahe unser persönliches Erlebnis gestaltet zu sehen. Aber das Schönste in unserer Freundschaft, das mir Unvergeßlichste, blieb, daß sie ständig einen heiklen Punkt überkommen hatte, dessen beharrliche Resistenz unter normalen Umständen sonst eine ehrliche und herzliche Intimität zwischen zwei Schriftstellern hätte verhindern müssen. Dieser heikle Punkt war, daß Bazalgette alles, was ich damals schrieb, mit seiner prachtvollen Ehrlichkeit dezidiert ablehnte. Er liebte mich persönlich, er hatte die denkbarste Achtung für meine Hingabe an das Werk Verhaerens. Immer, wenn ich nach Paris kam, stand er getreu an der Bahn und grüßte als erster mir entgegen; wo er mir helfen konnte, war er zur Stelle, wir stimmten in allen entscheidenden Dingen besser als sonst Brüder zusammen. Aber zu meinen eigenen Arbeiten sagte er ein entschlossenes Nein. Er kannte Gedichte und Prosa von mir in den Übersetzungen von Henri Guilbeaux (der dann im Weltkriege als Freund Lenins eine wichtige Rolle gespielt hat) und lehnte sie frank und schroff ab. All das habe keinen Zusammenhang mit der Wirklichkeit, rügte er unerbittlich, das sei esoterische Literatur (die er gründlich haßte), und er ärgere sich, weil gerade ich das schreibe. Unbedingt ehrlich zu sich selbst, machte er auch in diesem Punkte keine Konzessionen, nicht einmal die der Höflichkeit. Als er zum Beispiel eine Revue leitete, bat er mich um meine Hilfe – das heißt, er bat mich darum in der Form, daß ich ihm aus Deutschland wesentliche Mitarbeiter verschaffen sollte, also Beiträge, die besser waren als meine eigenen; von mir selbst, seinem nächsten Freunde, verlangte und veröffentlichte er beharrlich keine Zeile, obwohl er gleichzeitig aufopferungsvoll und ohne jedes Honorar die französische Übertragung eines meiner Bücher für einen Verlag aus treuer Freundschaft revidierte. Daß unsere brüderliche Kameradschaft durch diesen kuriosen Umstand in zehn Jahren nicht eine Stunde lang eine Minderung erlitten, hat sie mir noch besonders teuer gemacht. Und nie hat mich eine Zustimmung mehr gefreut als gerade die Bazalgettes, als ich während des Weltkrieges – selbst alles Frühere annullierend – endlich zu einer Form persönlicher Aussage gelangt war. Denn ich wußte, sein Ja zu meinen neuen Werken war ebenso ehrlich, wie es durch zehn Jahre sein schroffes Nein gewesen. Wenn ich den teuren Namen Rainer Maria Rilkes, obwohl es ein deutscher Dichter war, auf das Blatt der Pariser Tage schreibe, so geschieht dies, weil ich in Paris am öftesten und besten mit ihm beisammen gewesen bin und sein 106
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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