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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Berlin bestellt, da kam in letzter Stunde ein Telegramm: Verschiebung wegen Erkrankung Matkowskys. Ich hielt es für einen Vorwand, wie er beim Theater üblich ist, wenn man einen Termin oder ein Versprechen nicht einhalten kann. Aber acht Tage später brachten die Zeitungen die Nachricht, Matkowsky sei gestorben. Meine Verse waren die letzten gewesen, die seine wunderbar beredten Lippen gesprochen. Erledigt, sagte ich mir. Vorbei. Zwar wollten jetzt zwei andere Hoftheater von Rang, Dresden und Kassel, das Stück; innerlich jedoch war mein Interesse erlahmt. Nach Matkowsky mochte ich keinen andern Achill mir denken. Aber da kam eine noch verblüffendere Nachricht: ein Freund weckte mich eines Morgens, er sei von Josef Kainz gesandt, der zufällig auf das Stück gestoßen sei und darin eine Rolle für sich sehe, nicht den Achill, den Matkowsky hatte darstellen wollen, sondern die tragische Gegenrolle des Thersites. Er werde sich sofort mit dem Burgtheater in Verbindung setzen. Der Direktor Schlenther war nun als Bahnbrecher des gerade zeitgemäßen Realismus aus Berlin gekommen und leitete (sehr zum Ärger der Wiener) das Hoftheater als prinzipieller Realist; er schrieb mir sofort, er sehe wohl das Interessante in meinem Drama, leider aber nicht die Möglichkeit eines über die Premiere hinauswirkenden Erfolges. Erledigt, sagte ich mir nochmals, skeptisch wie ich von je gegen mich und mein literarisches Werk gewesen. Kainz dagegen war erbittert. Er lud mich sofort zu sich; zum erstenmal sah ich den Gott meiner Jugend, dem wir als Gymnasiasten am liebsten Hände und Füße geküßt, vor mir, biegsam der Körper wie eine Feder, geistvoll und von herrlich dunklem Auge beseelt das Gesicht noch im fünfzigsten Jahr. Ihn sprechen zu hören, war ein Genuß. Jedes Wort hatte auch in der privaten Konversation seinen reinsten Umriß, jeder Konsonant die geschliffene Schärfe, jeder Vokal schwang voll und klar; heute noch kann ich manches Gedicht nicht lesen, sofern ich es einmal von ihm habe rezitieren hören, ohne daß seine Stimme mitspricht mit ihrer skandierenden Kraft, ihrem vollendeten Rhythmus, ihrem heroischen Schwung; nie mehr ist es mir so zur Lust geworden, die deutsche Sprache zu hören. Und siehe, dieser Mann, den ich wie einen Gott verehrte, entschuldigte sich vor mir jungem Menschen, daß ihm die Durchsetzung meines Stücks nicht gelungen sei. Aber wir sollten einander von nun an nicht mehr verlorengehen, bekräftigte er. Eigentlich habe er eine Bitte an mich – ich lächelte beinahe: Kainz eine Bitte an mich! – und zwar: er sei jetzt viel auf Gastspielen und habe dafür zwei Einakter. Ein dritter fehle ihm noch, und was ihm vorschwebe, sei ein kleines Stück, womöglich in Versen und am besten mit einer jener lyrischen Kaskaden, wie er sie – einzig in der deutschen Theaterkunst – dank seiner grandiosen Sprechtechnik, ohne Atem zu holen, in einem Guß kristallen niederstürzen lassen konnte auf eine selbst atemlos 129
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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