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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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verwitterten Paläste, nicht die Himalayalandschaften, die mir auf dieser Reise im Sinne der inneren Ausbildung das meiste gaben, sondern die Menschen, die ich kennenlernte, Menschen einer anderen Art und Welt, als sie im europäischen Binnenland einem Schriftsteller zu begegnen pflegten. Wer damals, als man sparsamer rechnete und als Cooks Vergnügungstourneen noch nicht organisiert waren, über Europa hinaus reiste, war fast immer in seinem Stande und seiner Stellung ein Mann besonderer Art, der Kaufmann kein kleiner Krämer mit engem Blick, sondern ein Großhändler, der Arzt ein wirklicher Forscher, der Unternehmer von der Rasse der Conquistadoren, verwegen, großzügig, rücksichtslos, selbst der Schriftsteller ein Mann mit höherer geistiger Neugierde. In den langen Tagen, den langen Nächten der Reise, die damals noch nicht das Radio mit Schwatz erfüllte, lernte ich im Umgang mit dieser anderen Art von Menschen mehr von den Kräften und Spannungen, die unsere Welt bewegen, als aus hundert Büchern. Veränderte Distanz von der Heimat verändert das innere Maß. Manches Kleinliche, das mich früher über Gebühr beschäftigt hatte, begann ich nach meiner Rückkehr als kleinlich anzusehen und unser Europa längst nicht mehr als die ewige Achse unseres Weltalls zu betrachten. Unter den Männern, denen ich auf meiner Indienreise begegnete, hat einer auf die Geschichte unserer Zeit unabsehbaren, wenn auch nicht offen sichtbaren Einfluß gewonnen. Von Kalkutta aus nach Hinterindien und auf einem Flußboot den Irawadi hinaufsteuernd, war ich täglich stundenlang mit Karl Haushofer und seiner Frau zusammen, der als deutscher Militärattaché nach Japan kommandiert war. Dieser aufrechte, hagere Mann mit seinem knochigen Gesicht und einer scharfen Adlernase gab mir die erste Einsicht in die außerordentlichen Qualitäten und die innere Zucht eines deutschen Generalstabsoffiziers. Ich hatte selbstverständlich schon vordem in Wien ab und zu mit Militärs verkehrt, freundlichen, liebenswürdigen und sogar lustigen jungen Menschen, die meist aus Familien mit bedrängter Lebensstellung in die Uniform geflüchtet waren und aus dem Dienst sich das Angenehmste zu holen suchten. Haushofer dagegen, das spürte man sofort, kam aus einer kultivierten, gutbürgerlichen Familie – sein Vater hatte ziemlich viele Gedichte veröffentlicht und war, glaube ich, Professor an der Universität gewesen – und seine Bildung war auch jenseits des Militärischen universal. Beauftragt, die Schauplätze des russisch-japanischen Krieges an Ort und Stelle zu studieren, hatten sowohl er als seine Frau sich mit der japanischen Sprache, ja auch Dichtung, vertraut gemacht; an ihm sah ich wieder, daß jede Wissenschaft, auch die militärische, wenn großzügig erfaßt, notwendigerweise über das enge Fachgebiet hinausreichen und sich mit allen andern Wissenschaften berühren muß. Er arbeitete auf dem Schiff den ganzen Tag, verfolgte mit dem Feldstecher jede Einzelheit, schrieb Tagebücher oder 139
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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