Page - 237 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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der Wirkung, die sie ausüben, zu identifizieren. Ein Titel, eine Stellung, ein
Orden und wie gar erst Publizität ihres Namens vermögen in ihnen eine
höhere Sicherheit, ein gesteigertes Selbstgefühl zu erzeugen und sie zu dem
Bewußtsein zu verleiten, ihnen käme besondere Wichtigkeit in der
Gesellschaft, im Staate und in der Zeit zu, und sie blähen sich unwillkürlich
auf, um mit ihrer Person das Volumen ihrer äußeren Wirkung zu erreichen.
Aber wer von Natur aus mißtrauisch gegen sich selbst eingestellt ist,
empfindet jede Art des äußeren Erfolges als Verpflichtung, sich gerade in
diesem schwierigen Zustand möglichst unverändert zu erhalten.
Damit will ich nicht sagen, daß ich mich meines Erfolges nicht freute. Im
Gegenteil, er beglückte mich sehr, aber nur insoweit er sich auf das von mir
abgelöste Produkt, meine Bücher und den damit verbundenen Schemen
meines Namens beschränkte. Es war rührend, wenn man in Deutschland
zufällig in einer Buchhandlung stand, zu sehen, wie ohne einen zu erkennen
ein kleiner Gymnasiast eintrat, die ›Sternstunden‹ verlangte und von seinem
mageren Taschengeld bezahlte. Es konnte die Eitelkeit angenehm reizen,
wenn im Schlafwagen der Kondukteur den Paß nach Einsicht des Namens
respektvoller entgegennahm oder ein italienischer Zollbeamter, erkenntlich
für irgendein Buch, das er gelesen, auf die Durchwühlung des Gepäcks
großmütig verzichtete. Auch das rein Quantitative der persönlichen
Auswirkung hat für einen Autor etwas Verführerisches. Durch Zufall kam ich
eines Tages nach Leipzig gerade an dem Tage, da die Auslieferung eines
neuen Buches von mir begann. Es erregte mich merkwürdig, zu sehen,
wieviel menschliche Arbeit man unbewußt in Schwung brachte mit dem, was
man in drei oder vier Monaten auf dreihundert Seiten Papier geschrieben.
Arbeiter verpackten Bücher in mächtige Kisten, andere schleppten sie
stöhnend hinunter zu den Lastautos, die sie zu den Waggons nach allen
Richtungen der Welt brachten. Dutzende Mädchen schichteten in der
Druckerei die Bogen, die Setzer, Binder, Verfrachter, Kommissionäre werkten
von früh bis nachts, und man konnte sich ausrechnen, daß diese Bücher, zu
Ziegeln gereiht, schon eine stattliche Straße aufbauen könnten. Auch das
Materielle habe ich nie hochmütig verachtet. Ich hatte in den Jahren des
Anfangs nie zu denken gewagt, je mit meinen Büchern Geld verdienen oder
gar auf ihren Ertrag eine Existenz aufbauen zu können. Nun brachten sie
plötzlich stattliche und immer steigende Summen, die mich für immer – wer
konnte an unsere Zeiten denken? jeder Sorge zu entheben schienen. Ich
konnte großzügig der alten Leidenschaft meiner Jugend frönen, Autographen
zu sammeln, und manche der schönsten, der kostbarsten dieser wunderbaren
Reliquien fanden bei mir zärtlich behütete Unterkunft. Für die im höheren
Sinne doch ziemlich ephemeren Werke, die ich geschrieben, konnte ich
Handschriften unvergänglicher Werke erwerben, Handschriften von Mozart
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Die Welt von Gestern
Erinnerungen eines Europäers
- Title
- Die Welt von Gestern
- Subtitle
- Erinnerungen eines Europäers
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 320
- Keywords
- Biographie, Litertaur, Schriftsteller
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 5
- Die Welt der Sicherheit 10
- Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
- Eros Matutinus 56
- Universitas vitae 74
- Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
- Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
- Über Europa hinaus 135
- Glanz und Schatten über Europa 145
- Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
- Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
- Im Herzen Europas 189
- Heimkehr nach Österreich 208
- Wieder in der Welt 224
- Sonnenuntergang 240
- Incipit Hitler 263
- Die Agonie des Friedens 286