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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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übliche erste Station Vigo vermeiden. Zu meiner Überraschung fuhren wir dennoch in den Hafen ein, und es wurde uns Passagieren sogar gestattet, für einige Stunden an Land zu gehen. Vigo befand sich damals in den Händen der Franco-Leute und lag weit ab von dem eigentlichen Kriegsschauplatz. Dennoch bekam ich in diesen wenigen Stunden einiges zu sehen, was berechtigten Anlaß zu bedrückenden Gedanken geben konnte. Vor dem Rathaus, von dem die Flagge Francos wehte, standen, meist von Priestern geführt, junge Burschen in ihren bäuerlichen Gewändern aufgereiht, offenbar aus den nachbarlichen Dörfern herangeholt. Ich verstand im ersten Augenblick nicht, was man mit ihnen vorhatte. Waren es Arbeiter, die man anwarb für irgendeinen Notdienst? Waren es Arbeitslose, die dort verköstigt werden sollten? Aber nach einer Viertelstunde sah ich dieselben jungen Burschen verwandelt aus dem Rathaus herauskommen. Sie trugen blitzblanke, neue Uniformen, Gewehre und Bajonette; unter der Aufsicht von Offizieren wurden sie auf ebenfalls ganz neue und blitzblanke Automobile verladen und sausten durch die Straßen aus der Stadt hinaus. Ich erschrak. Wo hatte ich das schon einmal gesehen? In Italien zuerst und dann in Deutschland! Da und dort waren plötzlich diese tadellosen neuen Uniformen dagewesen und die neuen Automobile und Maschinengewehre. Und wieder fragte ich mich: wer liefert, wer bezahlt diese neuen Uniformen, wer organisiert diese jungen blutarmen Menschen, wer treibt sie gegen die bestehende Macht, gegen das gewählte Parlament, gegen ihre eigene legale Volksvertretung? Der Staatsschatz befand sich, wie ich wußte, in den Händen der legalen Regierung, und ebenso die Waffendepots. Es mußten also diese Automobile, diese Waffen aus dem Ausland geliefert worden sein, und sie waren zweifellos aus dem nahen Portugal über die Grenze gekommen. Aber wer hatte sie geliefert, wer sie bezahlt? Es war eine neue Macht, die zur Herrschaft kommen wollte, ein und dieselbe Macht, die da und dort am Werke war, eine Macht, die Gewalt liebte, Gewalt benötigte, und der all die Ideen, denen wir anhingen und für die wir lebten, Friede, Humanität, Konzilianz als antiquierte Schwächlichkeiten galten. Es waren geheimnisvolle Gruppen, verborgen in ihren Büros und Konzernen, die sich des naiven Idealismus der Jugend zynisch bedienten für ihren Machtwillen und ihre Geschäfte. Es war der Wille zur Gewalt, der mit einer neuen, subtileren Technik die alte Barbarei des Krieges über unser unseliges Europa bringen wollte. Immer hat ein einziger optischer, sinnlicher Eindruck mehr Macht über die Seele als tausend Zeitungsartikel und Broschüren. Und nie stärker als in dieser Stunde, da ich sah, wie diese jungen, unschuldigen Burschen von geheimnisvollen Drahtziehern im Hintergrunde mit Waffen versehen wurden, die sie gegen ebenso unschuldige junge Burschen ihres eigenen Vaterlandes wenden sollten, überkam mich eine Ahnung dessen, was uns, was Europa bevorstand. Als dann das Schiff nach einigen Stunden Aufenthalts wieder abstieß, ging ich 291
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Title
Die Welt von Gestern
Subtitle
Erinnerungen eines Europäers
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
320
Keywords
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Category
Biographien

Table of contents

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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