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146 C. Wolfgang von Weisl
Der Parlamentär nickte : »Der Jude mit den langen, schwarzen Haaren hat mich aus-
gelacht. Die Bauern mit dem Vieh sind schon seit vierzehn Tagen nach Sidon9 gezo-
gen«, sagt er. »Im Dorf sind nur die leeren Häuser und die Arbeiter, die lieber sterben
wollen, als das Dorf verlassen.« Der Araber wurde lebhafter : »Und ich habe ihm gesagt,
dass du, ya Beg, uns befehligst – dass unser Herr Faisal in Damaskus zum König von
Syrien und Mesopotamien proklamiert wurde, dass zehntausende seiner Soldaten hier
vor Metulla stehen, und der Jude …« – »… hat dich ausgelacht !«, unterbrach ihn wü-
tend der Druse. Er spie aus, schöpfte Atem und polterte dann los :
»Du von zweitausend rothaarigen Teufeln besessener Dummkopf ! Du uneheli-
cher Sohn eines räudigen Esels und einer verlausten Äffin ! Möge Allah dein Gesicht
schwarz machen am Tage des Gerichts ! Der Fettschwanz eines einjährigen Hammels
hat mehr Verstand als der langohrige Kopf deines Vaters ! MĂĽsst Ihr Araber denn immer
lĂĽgen ? Eine Wahrheit geht Euch schwerer aus eurem gespaltenen Maul als ein Gold-
stĂĽck aus den Händen eines Geizhalses. Tausend Krieger befehlige ich hierÂ
– das solltest
du den jüdischen Hunden sagen. Das ist die Wahrheit, und das hätten sie dir geglaubt
und sie hätten sich ergeben. Stattdessen musstest du von zehntausend schwätzen, wie
eine Kupplerin, die ihre Ware anpreist. Glaubst du, wenn ich hier zehntausend Mann
hätte, würde ich einen Parlamentär zu den Juden schicken, du Zwergochse mit dem
ausgeblasenen Ei, das dir als Kopf dient ? Weil du von Zehntausenden gelogen hast,
haben die Juden nicht einmal an Hundert geglaubt – verstehst du das, du Lügner und
Sohn eines Lügners und einer Lügnerin ?«
Überwältigt, versteinert, sprachlos starrt der Araber den Drusenhäuptling an. Seine
VerblĂĽffung angesichts dieses Schwalles eindringlicher Argumente stimmte sogar den
alten Beg zufrieden. Es war ganz gut, dass er einmal diesem Tölpel eine kleine Beleh-
rung über den Nutzen der Wahrheitsliebe hatte zuteil werden lassen können. Der Beg
war nicht wenig auf die Ăśberlegenheit der Drusenlehre eingebildet, die auf GeheiĂź
des göttlichen Meisters El Hakim10 die unbedingte Wahrheitsliebe ihren Gläubigen
anbefahl – zum Unterschied vom Islam, der von Menschenwerk verfälscht wurde. Mit
vergnĂĽgtem Zwinkern beobachtete der Alte, wie seine Drusen das Gleiche empfanden
und sich vor Stolz sichtlich blähten, während er den Araber beschimpfte.
So war sein Ton beinahe freundlich zu nennen, als er nun den Seinen befahl : »Fort
mit Euch ! Ruft mir die Offiziere des Emirs und die Ă„ltesten der Beduinen zur Bera-
tung ! Ihr könnt ihnen sagen, dass wir wegen der neunundneunzigmal verfluchten Ju-
9 Sidon : Hafenstadt am Mittelmeer, 40 km nördlich von Beirut.
10 El Hakim (arab.) : Herrscher, Richter, hier der in Kairo durch Hamza ibn Ali ibn Ahmad (985–
1021), einen aus dem Ostiran stammenden Missionar und BegrĂĽnder der drusischen Religion, ver-
göttlichte fatimidische Kalif al-Hakim (995–1021).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Wolfgang von Weisl
Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
Erlöser - Der Anfang der Wandlung Israels
- Title
- Wolfgang von Weisl
- Subtitle
- Schauspiel und Roman im Zeichen des modernen politischen Zionismus
- Editor
- Dietmar Goltschnigg
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21056-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 362
- Category
- Biographien
Table of contents
- Vorwort 7
- AbkĂĽrzungen und Zitierweise 11
- A. Kontexte, Aspekte, Kommentare 13
- Erlöser 13
- EinbĂĽrgerung Wolfgang von Weisls in British Palestine 22
- Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim … 23
- Der Anfang der Wandlung Israels 28
- B. Wolfgang von Weisl 51
- Erlöser. Ein ernstes Spiel von letzten Dingen 51
- C. Wolfgang von Weisl 143
- Der Anfang der Wandlung Israels. Roman 143
- D. Anhang 335
- 1. Zeittafel 335
- 2. Biographische Daten 341
- 3. Sachen, Begriffe, Orte, Glossar 346
- 4. Bibliographie 353
- 5. Personenregister 355